Kritik zu Kannawoniwasein!
Stefan Westerwelle (»Detlef«, »Lose Your Head«) hat nach einem Roman von Martin Muser einen ganz besonderen Kinderfilm gedreht: einen, der seine jugendlichen Protagonisten und die Bilder atmen lässt
Das kann ja wohl nicht wahr sein – zwei Kinder allein unterwegs durch die ostdeutsche Provinz. Finns Eltern leben getrennt. Der 10-Jährige hatte sich sehr auf den Paddelausflug mit seinem Vater gefreut; Papa setzt ihn aber stattdessen in den Zug zurück zur Mutter nach Berlin. Zur gleichen Zeit wird die etwas ältere Jola im Lastwagen des Onkels über das Wochenende nach Polen zur Oma verfrachtet, denn die Eltern wollen von dem umtriebigen Mädchen einfach mal ihre Ruhe haben. Als sich die Wege der beiden Kinder kreuzen, ist schnell klar: Sie büxen gemeinsam aus, denn die Eltern wollen sowieso nichts von ihnen wissen.
Das ist der Start eines märchenhaften Roadmovies Richtung Meer. Umwerfend die beiden Hauptdarsteller, die ihren Figuren eine authentische Tiefe geben. Miran Selcuk spielt Finn als braven, zurückhaltenden Jungen, der sich von der größeren Jola gern mitreißen lässt. Er leidet an der Trennung seiner Eltern und muss seinen Platz zwischen den zwei Haushalten erst noch finden. Sein größter Schatz ist ein Erinnerungsalbum, das ihm aber im Zug samt Rucksack und Handy gestohlen wurde. Jola überredet ihn, sich den Rucksack zurück zu holen. Lotte Engels verleiht diesem Mädchen enorme Power – trotzdem spürt man immer auch die große Verletztheit, die Jola zu verstecken sucht. Kurzerhand kapern die beiden einen alten Traktor und düsen damit über die Landstraßen, stets verfolgt von einem Polizistenduo. Die Polizei gehört zu einem Ensemble merkwürdig anmutender Erwachsener, denen die Ausreißer begegnen, darunter ein Sexshop-Händler, die poppige Frittenverkäuferin mitten im Nirgendwo, ein als Alter Fritz verkleideter Autofahrer und ein dänisches Nudistenpaar, das seinen Traktor wieder flott macht. Die Welt der Erwachsenen ist ganz offensichtlich nicht die Welt von Finn und Jola. Aber die Erwachsenen werden nicht, wie es zu oft in Kinderfilmen üblich ist, zu Karikaturen gemacht – sie sind zwar komisch, aber keinesfalls lächerlich.
Angelehnt an den gleichnamigen Roman von Martin Muser, nimmt Regisseur Stefan Westerwelle sich sehr ernsthaft der Probleme und Emotionen der Kinder an, indem er sich Zeit lässt, den Ausreißern durch eine weite, landwirtschaftlich geprägte Gegend in ruhigen Bildern zu folgen. Ein Roadmovie ist immer auch eine Reise zu sich selbst, und neben den Abenteuern die die beiden erleben, bleibt Platz zum Reden und Nachdenken. Das macht den Film zu einem ganz besonderen Kinderfilm, in dessen Welt sich die jungen Zuschauer wiederfinden können. Die Kamera schafft einen weiten filmischen Raum und die Spannung entsteht durch schöne, durchdachte Bilder, etwa wenn die Kinder auf einem Hochsitz in beeindruckender Nachstimmung einen Wolf beobachten, oder wenn eine Rockerbande auf ihren schweren Maschinen sehr laut durchs Bild brettert. Mit denen bekommen es Finn und Jola auch noch zu tun, aber das sieht man sich dann am besten im Kino an.
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