Apple TV+: »The Crowded Room«

»The Crowded Room« (Serie, 2023). © Apple TV+

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Die Enge im eigenen Kopf

Manhattan in den 80er Jahren. Auf dem belebten Rockefeller Center bricht Panik aus. Ein Amokläufer feuert in die Menge, mehrere Menschen werden verletzt. Zu Tode kommt glücklicherweise niemand. Da das Motiv des Schützen rätselhaft bleibt, ziehen die Ermittler einen Sachverständigen hinzu. Nach ausführlichen Gesprächen mit dem labilen Danny (Tom Holland) kommt die Psychologin Rya Goodwin (Amanda Seyfried) zu einer Schlussfolgerung, die jeder Vernunft widerspricht: Obwohl das Überwachungsvideo ihn zweifelsfrei als Täter identifiziert, ist die Psychologin sich sicher: Den Abzug hat Danny nicht betätigt.

Die Apple-Serie wurde inspiriert von Daniel Keyes Tatsachenroman »The Minds of Billy Milligan« von 1981. Das Buch schildert einen Präzedenzfall in der US-amerikanischen Rechtsgeschichte. Erstmals wurde ein mutmaßlicher Täter freigesprochen, weil er unter einer »dissoziativen Identitätsstörung« litt: einer diagnostischen Kategorie, die seinerzeit erst neu definiert wurde. Das Skript zu diesem ambitionierten Zehnteiler stammt aus der Feder von Akiva Goldsman. Dessen Drehbuch zu dem themenverwandten Spielfilm »A Beautiful Mind« über den schizophrenen Nobelpreisträger John Nash wurde mit dem Oscar prämiert.

In »The Crowded Room« nimmt Goldsman sich Zeit, um die Komplexität der Thematik durchzudeklinieren. Reizvoll sind besonders die ersten Folgen, in denen unklar ist, welche der Protagonisten authentisch sind und welche der zerbrochenen Bewusstseinssphäre des leidgeprüften jungen Mannes entspringen. Einen hypnotischen Sog entwickelt die Serie durch ihre visuelle Gestaltung. Bereits der animierte Vorspann, der das Malheur des Protagonisten im Van-Gogh-Stil illustriert, ist atemberaubend. Mit enormem Aufwand taucht der Zehnteiler ein in eine schmutzige, pulsierende Welt der 80er Jahre. Man telefoniert mit Wählscheiben und orientiert sich beim Autofahren mit einer Landkarte aus Papier.

Fantasievoll gestaltet ist das seelische Labyrinth eines Menschen, dessen Bewusstsein in Stücke zersplittert ist. Tom Holland setzt glaubhafte Akzente in der Rolle des traumatisierten jungen Mannes, der einen unerträglichen Konflikt in fiktive Personen abspaltet. Danny ist das Opfer einer prekären Familiensituation. Nach der Trennung von ihrem gewalttätigen Mann kommt die Kellnerin Candy (Emmy Rossum) als alleinerziehende Mutter nicht mehr klar. Der patente Marlin (Will Chase) führt ihr Leben zurück in geordnete Bahnen, so scheint es.

In einem Punkt bleibt die Serie leider unbefriedigend. So bereut die Mutter am Ende ihr Schweigen. Der eigentliche Missetäter gerät nie wirklich in den Fokus. Die Ursache der dissoziativen Persönlichkeitsstörung – der sexuelle Missbrauch – wird nur auf der verbalen Ebene thematisiert. Trotz der verstörenden Thematik setzt die Serie auf einen versöhnlichen Grundton, der im leitmotivisch wiederholten Beatles-Klassiker »Let it be« angestimmt wird.

OV-Trailer

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