Kontinuität
Sechs Tage muss Captain Nathan Brittles noch in seinem Kalender ausstreichen, dann schickt ihn die US-Kavallerie in den Ruhestand. Seine Ordonnanz, der trinkfeste Sergeant Quincannon, sieht dem Datum voller Nostalgie entgegen: "Die Armee wird nicht mehr Dieselbe sein, wenn Sie weg sind." Nein, erwidert sein Vorgesetzter abgeklärt, die Armee wird immer Dieselbe sein, Sonne und Mond verändern sich, aber die Armee verändert sich nicht.
John Fords »She Wore a Yellow Ribbon« (Der Teufelshauptmann), an dessen Anfang dieser Countdown steht, ist der Lieblingsfilm von Rudolf Worschech. Daran hat er mich heute aus gegebenem Anlass erinnert, denn dies war sein letzter Arbeitstag in der Redaktion von "epd Film". Wir kamen, wie so oft, von Hölzchen auf Stöckchen auf den Dialog zwischen John Wayne und Victor McLaglen zu sprechen: als zwei Pazifisten, die aber gute Kriegs- und Militärfilme mögen und merkten, dass dieser Film prächtig zu seinem Abschied passte. Rudolf zitierte Waynes Dialog aus dem Kopf und im Original: "The sun and the moon change, the army knows no season." Sein eigentlicher Lieblingsdialog aus Fords Film war natürlich Waynes Mahnung "Never apologize, it's a sign of weakness." Eine solche Weisheit, das wussten wir beide, gilt allerdings nur im Kino. In der wirklichen Welt musste ich ihn oft genug um Entschuldigung bitten, weil ich notorisch im Verzug war mit meinen Texten.
Rudolf war für mich eine Figur der Kontinuität. Seit ich für diese Zeitschrift arbeite, war er – abgesehen von ersten, sporadischen Texten, die ich den späten 1980ern anbot – immer dabei: mit seinem eigenen, entspannten Tonfall. Der erste Artikel, dessen Ablieferung er annmahnen musste, war ausgerechnet ein Porträt von Bertrand Tavernier. So erinnerte er sich zumindest heute Mittag. Gut möglich, denn oft verspätet man sich ja gerade dann, wenn man den Gegenstand liebt, über den man schreibt. Aber Rudolf war kein Drängler, er betrieb auch gern Autorenpflege. Wenn ich eben von Kontinuität schrieb, dann meinte ich damit auch die Zuversicht, die aus ihr entsteht. Während ich mir als freier Autor durchaus Sorgen um die Zukunft machte (um meine eigene, die meines Berufs, die der Cinéphilie usf.), schien er in tiefschürfender Selbstverständlichkeit einfach immer weiter zu machen, was er von Anfang an getan hatte, absolvierte unerschütterlich seine Leib-und-Magen-Festivals etc. Wir waren kein Gespann wie Brittles und Quincannon, aber ich denke, uns verband doch eine starke Nostalgie, eine Begeisterung für Filmgeschichte. Die Bedingungen von Erinnerungen waren auch ein häufiges Gesprächsthema zwischen uns. Im letzten Sommer, als ich einen Essay über Roadmovies schreiben sollte (für einen anderen Auftraggeber) berichtete ich ihm von meiner Verblüffung, wie präsent mir viele Szenen und Dialoge aus »Thelma und Louise« waren, den ich seit der Pressevorführung vor gut drei Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatte. Das kommt daher, meinte Rudolf, weil Du ihn im Kino gesehen hast. Was man auf DVD oder als Stream gesehen hat, verflüchtigt sich viel schneller.
Captain Brittles hat noch ein ziemliches Pensum zu absolvieren in den sechs Tagen, die ihm verblieben. Er muss Frieden stiften in einem Indianerkrieg, der auszubrechen droht. Rudolf hatte es heute leichter, er musste seinen Schreibtisch leer räumen und das Ganze in einem Karton verstauen und heimnehmen wie in einem "schlechten amerikanischen Film." Aber für Sentimentalitäten sei keine Zeit, versicherte er. Es ist ein trauriges Zusammentreffen, dass seine Pensionierung sich so unfassbar rasch an den Tod von Wilhelm Roth anschließt, dem er so persönlich und klar nachrief im letzten Heft.
Zu den Wohltaten, die Rudolf mir als Redakteur angediehen ließ, gehörte das Schreiben von Blogs. Das fing 2009 an, als er mich für den Berlinale-Blog gewinnen wollte. Damals war das noch ein frischer, fremder Begriff für uns. Er leitete ihn vom Logbuch ab. Wir entdeckten, dass mir diese Form lag. (Kein Qualitätsurteil in eigener Sache, sondern die Feststellung einer Neigung.) Fünf Jahre später wurde dann dieser Autorenblog daraus, der im April 2014 begann. Für diese Ausdrucksmöglichkeit bin ich ihm, neben vielen anderen, schlicht und einfach dankbar. Die Armee wird nicht Dieselbe sein, wenn ein Captain wie er in den Ruhestand geht.
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