arte-Mediathek: »Und draußen die Nacht«

»Und draußen die Nacht« (Miniserie, 2022). © Anna Camerlingo/arte

»Und draußen die Nacht« (Miniserie, 2022). © Anna Camerlingo/arte

Traumatherapie

Einmal mehr widmet sich Marco Bellocchio einem bleibenden Trauma der italienischen Nation: der Entführung und Ermordung des christdemokratischen Politikers Aldo Moro durch die Terrorgruppe Rote Brigaden im Jahr 1978.

Bellocchio, in den 1960ern in der marxistisch-leninistischen Unione dei Comunisti Italiani (UCI) aktiv, drehte 1995 einen Dokumentarfilm mit dem vielsagenden Titel »Zerbrochene Träume – Argumente und Delirium«, ein kritischer Rückblick auf linke Politik im Italien vorausgegangener Jahrzehnte. Interviewpartner waren die Linken-Politiker Vittorio Goa und UCI-Gründungsmitglied Aldo Brandirali sowie mit dem Schriftsteller Enrico Fenzi und dem Psychiater Massimo Gidoni auch zwei frühere Mitglieder der Roten Brigaden.

2003 folgte der Spielfilm »Buongiorno, Notte – Der Fall Aldo Moro« nach einem Buch von Anna Laura Braghetti, die an Moros Entführung und später an weiteren politischen Morden beteiligt gewesen war. Entsprechend erzählen Bellocchio und seine Co-Autorin Daniela Ceselli, Kollaborateurin auch schon bei »Zerbrochene Träume...«, aus der Warte einer Mittäterin, im Film Chiara geheißen, von ihrer Verstrickung, der wachsenden Angst vor Entdeckung, den Zweifeln an den Entscheidungen der Anführer der Terrorgruppe.

Ähnlich angelegt ist die Figur Adriana Faranda in dem Sechsteiler »Und draussen die Nacht«, einer Koproduktion der italienischen Rai Fiction mit Arte France aus dem Jahr 2022. Auch Faranda ist eine authentische Figur. Sie war ihrerseits an Moros Entführung beteiligt. Später distanzierte sie sich von den Roten Brigaden und schrieb ein Buch über ihre Zeit im Gefängnis.

Anders als beim Kinofilm »Buongiorno, Notte« verzichtet Bellocchio in der TV-Produktion auf Krimielemente. In der Ouvertüre treibt er ein leicht frivoles Spiel mit der Historie. Aldo Moro liegt im Krankenhaus, von den Entführern freigelassen, stark geschwächt. Gegen den Protest des Arztes versammelt sich Italiens politische Elite, Innenminister Cossiga, Ministerpräsident Giulio Andreotti, mit starren, mitleidlosen Blicken und regungslosen Gesichtern. Moro spricht aus dem Off und erklärt seinen Austritt aus der Democrazia Cristiana.

Nach dem Vorspann springt Bellocchio unmittelbar in jene Phase der italienischen Vergangenheit, als Rechts- und Linksradikale Anschläge verübten. Bilder einer gewalttätigen Demonstration, ein Waffenladen wird geplündert. Italien ist ohne Führung, die Christdemokraten besitzen keine parlamentarische Mehrheit mehr. Ihr Parteiführer Moro plädiert engagiert für ein Bündnis mit den Kommunisten, für den »Historischen Kompromiss«, um sich gemeinsam den drängendsten Problemen des Landes zu widmen. Er findet eine Mehrheit innerhalb seiner Partei, die Regierung Andreotti wird fortan von Enrico Berlinguers Kommunisten toleriert. In rechten Kreisen, im Militär, auch in der eigenen Partei gibt es wütende Gegner, die der Meinung sind, man habe Vasallen der Sowjetunion politischen Einfluss gewährt.

Die Auftaktfolge zeigt Moro als besonnenen Rhetoriker, bescheidenen Privatmann und Familienmenschen, als Besucher beim Papst, als Dozent in der Universität, wo er von linken Studierenden lautstark gestört wird. Dann die Entführung. Das Autorenteam ordnet die Handlungsstränge ab da nicht nach dem Zopfmuster, sondern erzählt das Geschehen in jeder Folge aus einer anderen Perspektive. Anders als in Genrefilmen bleiben die polizeilichen Ermittlungen Randerscheinungen.

Folge 3 schildert die von Paul VI. initiierten kirchlichen Bemühungen, mit den Roten Brigaden zu verhandeln und Moro durch Zahlung eines beträchtlichen Lösegeldes freizukaufen. Folge 4 gilt Adriana Faranda, blendet zurück in die Zeit vor der Tat, zeigt Faranda als liebevolle Mutter, die sich ein letztes Mal von ihrer siebenjährigen Tochter Alexandra verabschiedet. Später, als Faranda bereits auf den Fahndungslisten steht, wagt sie sich noch einmal in die Nähe der Schule und beobachtet feuchten Auges, wie Alexandra von ihrer Oma abgeholt wird.

Folge 5 nimmt den Blickwinkel der Familie ein, stellt Moros Ehefrau Eleonora ins Zentrum. Ihre Appelle, die harte Haltung – »Der Staat muss sein Gesicht wahren« (Andreotti) – aufzugeben und stattdessen ihren Mann zu retten, bleiben Wunschdenken. Die Zusagen Cossigas und anderer Regierungsvertreter erweisen sich als Lippenbekenntnisse. In Folge 6 kommt die Tragödie zu ihrem bekannten Ende.

Wie schon in »Buongiorno, Notte« verwendet Bellocchio immer wieder dokumentarisches Material, meist Ausschnitte aus Fernsehberichten. Aber »Und draussen die Nacht« ist kein Doku-Drama, wie es in Deutschland Heinrich Breloer mit dem – auch nicht völlig spekulationsfreien – Fernsehfilm »Todesspiel« über die Schleyer-Entführung drehte. »Frei interpretiert« und »kreativ bearbeitet« seien Ereignisse und Personen, so wird im Abspann ausdrücklich hervorgehoben. Schon deshalb ein wichtiger Hinweis, weil die Moro-Entführung bis heute von wüsten Verschwörungstheorien umgeben ist. Demnach seien die Roten Brigaden instrumentalisiert worden, wahlweise von östlichen oder westlichen Geheimdiensten, von italienischen Geheimbünden wie der Loge Propaganda Due (P2), der Mafia – was immer ins jeweilige Weltbild passt.

Vielleicht der Grund, warum Bellocchio und sein Autorenteam wiederholt Lücken lassen. Beispielsweise will Innenminister Cossiga, ein Protegé Moros, zu Beginn alles daransetzen, seinen Ziehvater zu befreien. Wenig später aber vertritt er Andreottis Position, derzufolge mit Terroristen nicht verhandelt wird.

Der Gesinnungswandel kommt abrupt, ohne erkennbare Veranlassung. Sprünge dieser Art treten einige Male auf. Für ein mit den historischen Vorgängen vertrautes Publikum kein Manko, außerhalb Italiens aber und insbesondere bei einer jüngeren Zuschauerschaft erschweren die Auslassungen das Verständnis, auch weil die prekären, buchstäblich explosiven Zustände im damaligen Italien nur bedingt deutlich werden.

Es bleibt einmal mehr die Erkenntnis, dass versierte Kinoschaffende nicht automatisch auch die Serienproduktion beherrschen.

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