Kritik zu Der vermessene Mensch
Lars Kraume widmet sich in seinem neuen Spielfilm einem bislang stark unterbelichteten Kapitel der deutschen Kolonialgeschichte: dem Völkermord an den Herero und Nama
So gerne und häufig man sich in Deutschland in Film und Fernsehen mit der eigenen Vergangenheit beschäftigt, so groß ist der Bogen, der gemeinhin um die hiesige Kolonialgeschichte gemacht wird. Daran etwas zu ändern war Lars Kraume, der als junger Mann nicht lange nach Namibias Unabhängigkeit das Land erstmals bereiste und dort über die immer noch präsenten Spuren deutscher Herrschaft staunte, schon länger ein Anliegen. Und so begibt er sich nun mit »Der vermessene Mensch« in eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Vergangenheit.
Die Handlung beginnt dabei in Berlin: im Rahmen der Deutschen Kolonialausstellung reisen Vertreter*innen der Herero und Nama aus der Kolonie Deutsch-Südwestafrika an, in der Hoffnung, mit dem Kaiser über ihre schwierige Lage sprechen zu können. Stattdessen werden sie einem sensationsgierigen Publikum wie Zootiere vorgeführt – und von Wissenschaftlern wie dem Ethnologieprofessor von Waldstätten (Peter Simonischek) untersucht und vermessen wie wissenschaftliche Objekte. Dessen Doktorand Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) steht der gängigen Theorie, dass Schwarze Menschen intellektuell unterlegen sind, skeptisch gegenüber, zumal als er Kezia Kambazembi (Girley Charlene Jazama) kennenlernt, die Dolmetscherin der Herero.
Als wenig später in der Kolonie ein Aufstand der Herero und Nama niedergeschlagen wird und im Auftrag des Kaisers ein gnadenloser Vernichtungskrieg beginnt, begleitet Hoffmann für das Völkerkundemuseum die deutsche Armee, um relevante Artefakte zu sammeln. Insgeheim sucht er aber auch nach Beweisen für seine These – und hofft auf ein Wiedersehen mit Kezia. Doch das brutale Vorgehen der Soldaten und die Allgegenwart rassistischer und menschenverachtender Strukturen und Ideologien gehen an ihm nicht spurlos vorbei.
Kraume, der schon mit »Der Staat gegen Fritz Bauer« und »Das schweigende Klassenzimmer« auf historisch-politischen Spuren wandelte, verlässt sich ganz auf die Kraft seiner erschütternden, immer wieder an die Nieren gehenden Geschichte. Der Versuchung, auch eine Liebesgeschichte zu erzählen, widersteht er zum Glück ebenso wie der, seinen Protagonisten zum Helden oder auch nur Sympathieträger zu machen. Hoffmann mag, zumal zu Beginn, Empathievermögen und Weitsicht mitbringen, doch die bittere Erkenntnis, dass das allein nicht unbedingt Gräueltaten verhindert, zeichnet den Film aus.
Auch die Entscheidung, dass diese Geschichte nur aus der Täterperspektive erzählt werden kann, ist die richtige, wenngleich sich daraus natürlich das kaum entrinnbare Dilemma ergibt, dass man gerne mehr erfahren würde über die Menschen, die diesem Film seinen Titel geben. Nicht zuletzt auch, weil man dann mehr von der namibischen Schauspielerin Girley Charlene Jazama sehen würde, die in ihren Szenen Herausragendes leistet und nebenbei Shootingstar Scheicher, der als Hauptdarsteller vielleicht nicht die idealste Wahl war, geradezu verblassen lässt.
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