Apple TV+: »Emancipation«
Was die Wahrnehmung von Sklaverei, amerikanischem Bürgerkrieg und allgemein der Südstaaten angeht, trägt Hollywood eine besondere Verantwortung. Mit vor dem Film eingeblendeten Hinweisen darauf, dass Vom Winde verweht voller rassistischer Klischeevorstellungen stecke und ein sterilisiertes, geschöntes Bild der Sklaverei male, ist es nicht getan. Erst in den letzten Jahren versuchen Filmemacher verstärkt, der Wirkmächtigkeit dieser romantisierenden Darstellung etwas entgegenzusetzen, die die ehemaligen Sklavenhalterstaaten mit ihrer weißen Oberschicht zu noblen Verlierern mit dem besseren Savoir-vivre stilisierte. Herausgekommen sind mit »12 Years a Slave«, »The Birth of a Nation« und zuletzt der Serie »Underground Railroad« Werke, die unter anderem die reale, rohe, unmenschliche Gewalt zeigen, die im System der Sklaverei Alltag war. Das wiederum ist oft schwer zu ertragen und hat nicht umsonst zu einem eigenen Backlash geführt, der sich gegen die »Viktimisierung« und die »Retraumatisierung« der schwarzen Nachkommen richtet.
»Emancipation« ist ein Projekt aus diesem Umfeld, das beiden Anliegen gerecht werden will: die brutale Realität der Sklaverei aus einer anderen als der der Weißen zu zeigen und gleichzeitig den Anteil hervorzuheben, den Afroamerikaner an ihrer eigenen Befreiung hatten. Die Inspiration zum Film, sein Claim auf eine »wahre Geschichte«, liefert ein berühmtes Foto aus dem Jahr 1863: das des »gepeitschten Peters«, eines in Baton Rouge aufgenommen Sklaven, dessen vernarbter Rücken als Propaganda-Argument gegen die Südstaaten um die Welt ging. Zu der kleinen Serie aus drei Fotos, die es von ihm gibt – einmal in zerrissenen Kleidern, einmal mit nacktem Rücken und einmal mit der Unionsuniform – wurde in verschiedenen Zeitschriften auch eine Lebensgeschichte wiedergegeben, die allerdings als spekulativ gilt. Peter sei in einer wilden, mehrere Tage langen Verfolgungsjagd durch die Sümpfe seinem »Master« entkommen, um sich dann unverzüglich der Nordstaatenarmee anzuschließen. Im »Harper's Weekly« vom 4. Juli 1863 wird er außerdem als Mann von »ungewöhnlicher Intelligenz und Energie« beschrieben. Er habe sich während der Flucht immer wieder mit Zwiebeln abgerieben, um die Spürhunde seiner Verfolger abzulenken. Solche Steilvorlagen kann sich natürlich kein Drehbuch entgehen lassen.
Im Film wird Peter von Will Smith gespielt und mit einer weiteren Backstory ausgestattet: Er stammt aus Haiti und spricht mit französischem Akzent, genauso wie seine Frau Dodienne (Charmaine Bingwa), mit der er mehrere Kinder hat. Sie arbeiten als Sklaven auf einer Baumwollplantage, bis die Familie grausam auseinandergerissen und Peter weiterverkauft wird, um für die Südstaatenarmee Eisenbahnen zu bauen. Dort überhört er die Nachricht, dass Lincoln die Sklaven befreit habe. Von den nervösen weißen Bewachern bereits mehrfach drangsaliert, nutzt Peter die nächste Gelegenheit zur Flucht. Ihm an die Fersen heftet sich der genreübliche eiskalte Verfolger, hier von Ben Foster gespielt, mit mehreren Begleitern und Spürhunden. Was folgt, ist ein packender Verfolgungsthriller, bei dem Regisseur Antoine Fuqua sein Gespür für Timing und Spektakel mit dem Ehrgeiz verbindet, ein Panorama des amerikanischen Bürgerkriegs ohne »Whitewashing« zu zeichnen.
Vor der Premiere Ende November – in den USA brachte Apple vor dem Streamingstart den Film für kurze Zeit in die Kinos, um ihn für die Oscars zu qualifizieren – wurde noch viel über die pikante Situation spekuliert, ob Will Smith eine weitere Oscar-Nominierung erhalte, trotz seiner Verbannung wegen der an Chris Rock ausgeteilten Ohrfeige im vergangenen Jahr. Seither hat sich die Lage beruhigt, »Emancipation« gilt nicht mehr als der ganz heiße Oscar-Favorit. Seinem selbst gestellten Auftrag, die überkommenen Sehgewohnheiten herauszufordern, wird er dennoch gerecht.
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