Iran: Alles muss sich ändern
»Elly« (2009). © Fugu Films
Seit der Ermordung von Mahsa Amini fordern Frauen im Iran unter dem Slogan »Frauen, Leben, Freiheit« nicht nur das Ende der Hijab-Pflicht, sondern einen Systemwechsel. Unter ihnen sind auch viele Filmschaffende, einige wurden längst vom Regime außer Landes getrieben. Maxi Braun porträtiert zwei Schauspielerinnen, die im Exil leben: Golshifteh Farahani, bekannt aus »Elly« und »Paterson«, und Zar Amir Ebrahimi, die jetzt mit »Holy Spider« bei uns ins Kino kommt
Die Schauspielerin und Regisseurin Maryam Zaree kam im berüchtigten iranischen Gefängnis Evin zur Welt. Für ihren autobiografischen Dokumentarfilm »Born in Evin« (2019) suchte sie Menschen, die wie sie dort geboren oder als Kinder von Oppositionellen inhaftiert waren. Im Verlauf der filmischen Spurensuche trifft Zaree Nina, die ebenfalls als Kind in Evin war. Sie erzählt von einem wiederkehrenden Alptraum, der sie als Jugendliche heimsuchte: Es geht darin um ein schreiendes Baby, das von einem Mann gehalten wird. Ihm gegenüber steht eine Frau, blutüberströmt, verletzt. Sie wird gefoltert, weint und schreit vor Schmerzen. Als Nina diesen Traum ihrer Mutter schilderte, habe die nur erwidert: »Wer hat dir davon erzählt?« Der Traum von Zarees Leidensgenossin war kein Traum, sondern eine frühkindliche Erinnerung. Eine von unzähligen, die eindrücklich vermittelt, was Menschen von Beginn an unter dem Regime Ayatollah Khomeinis angetan wurde und bis heute angetan wird. Evin ist eine Chiffre für die Unterdrückung politischer Gegner*innen, für Folter und Mord, die abschrecken sollen.
Aber seit Mahsa Amini am 16. September 2022 in einem Teheraner Krankenhaus starb – wahrscheinlich an Verletzungen, die ihr die sogenannte Sittenpolizei bei der Verhaftung aufgrund eines nicht ordnungsgemäß sitzenden Hijabs zugefügt hatte – gehen mutige Iraner*innen auf die Straße und riskieren ihr Leben. Bis zum 5. Dezember 2022 ging die NGO Iran Human Rights von 448 vom Regime Ermordeten aus. Die Dunkelziffer und die Zahl der Inhaftierten, beispielsweise in Evin, dürfte deutlich höher liegen.
Welche Rolle spielt da schon das Kino? Eine wichtige, denn Bekanntheit erzeugt Öffentlichkeit. Exil-Iraner*innen und Menschen mit einem Bezug zum Land wünschen sich diese Sichtbarkeit. Das bekräftigte auch die deutsch-iranische Schauspielerin Jasmin Tabatabai Ende November in einem Interview im Deutschlandfunk: »Proteste gibt es immer im Iran. Aber meist ebben sie irgendwann ab, weil sie nicht beachtet werden. Es gibt den Menschen Hoffnung, dass die Welt das erste Mal hinschaut und Anteil nimmt.« Für den Wunsch nach Sichtbarkeit spricht auch der Mut der Iraner*innen selbst, die Ereignisse zu dokumentieren und in den sozialen Medien zu verbreiten.
Während die ZDF-Sendung »Die Anstalt« den Comediennes Negah Amiri und Enissa Amani eine Bühne bot und die Pro7-Stars Joko und Klaas ihre reichweitenstarken Instagram-Accounts an iranische Aktivistinnen verschenkten, wollen wir von iranischen Schauspielerinnen erzählen. Von denen, die fliehen mussten und heute im Exil leben, und von solchen, die aktuell Teil der Protestbewegung im Iran sind.
Golshifteh Farahani
Die 1983 geborene Tochter des Theaterregisseurs Behzad Farahani und Schwester der Schauspielerin Shaghayegh Farahani spielte ihre erste Hauptrolle im Alter von nur 14 Jahren in »The Pear Tree« unter der Regie von Dariush Mehrjui, der als Erneuerer des iranischen Kinos gilt. Nach zahlreichen weiteren Rollen trat sie 2008 als erste iranische Schauspielerin in einem Hollywoodfilm auf – Ridley Scotts Thriller »Der Mann, der niemals lebte« (Body of Lies). Da sie keine Genehmigung hatte, in dem Film mitzuwirken, und darin ohne Hijab zu sehen ist, wurde im Iran eine offizielle Untersuchung gegen sie eingeleitet. Sie wurde mehrfach verhört, und in der Folge bekam auch Regisseur Asghar Farhadi Probleme: Farahani spielte auch in seinem Film »Alles über Elly« mit, der zunächst nicht mehr gezeigt werden durfte.
Im Oktober 2022 wurde sie in einem von Rachel Aviv aufwendig recherchierten Text für den »New Yorker« zu ihren Erfahrungen aus dem Jahr 2008 befragt. Sie erklärte der Journalistin, dass Farhadi sie auf der Berlinale, auf der »Alles über Elly« schließlich den Silbernen Bären gewann, komplett ignoriert habe. Auf seinen Wunsch hin habe sie allein, ohne den restlichen Cast, der sich um den Regisseur scharte, den roten Teppich entlanglaufen müssen. Kurz darauf habe er sie allein in ihrem Hotelzimmer aufgesucht, um ihr zu raten, das Regime förmlich um Verzeihung zu bitten, was sie abgelehnt habe. Farhadi selbst erinnert sich weder an die Ausgrenzung Farahanis vom Team auf der Berlinale noch an das Gespräch unter vier Augen im Hotel. Farahani konstatiert gegenüber Aviv schließlich: »Ironisch ist: In den Verhören habe ich mich nie schuldig gefühlt. Erst Farhadi hat das geschafft. Seinetwegen habe ich geglaubt, ich habe etwas Schreckliches getan, indem ich mich ohne Hijab gezeigt habe.« Sie räumt ein, dass auch Farhadi unter enormem Druck gestanden habe.
Die Stimmung gegen Farahani spitzte sich in ihrer Heimat derart zu, dass sie ins französische Exil ging, wo sie bis heute lebt. Jegliche Hoffnung auf eine mögliche Rückkehr begrub sie 2012, als sie nackt für das Magazin »Madame Figaro« posierte. In einem Interview mit dem »Daily Telegraph« gab sie kurz danach an, ein Mitglied des iranischen Ministeriums für Kultur und islamische Führung habe sie wissen lassen, dass Iran keine Schauspielerinnen wie sie brauche und sie ihre Dienste woanders anbieten solle. Eine Chance, die sie nutzte.
Sie spielte sowohl in kommerziellen Filmen wie »Fluch der Karibik – Salazars Rache« als auch in anspruchsvolleren Werken wie »Huhn mit Pflaumen« von Marjane Satrapi oder Jim Jarmuschs »Paterson«. Politisch laut und engagiert tritt sie seit der Ermordung Mahsa Aminis auf ihren Accounts bei Twitter und Instagram auf. Anfang Dezember veröffentlichte sie einen offenen Brief in der »New York Times« und forderte unter dem Titel »A Cry for Freedom That Won't Be Silenced« Solidarität von Feministinnen ein. Bei einem Konzert der Band Coldplay in Buenos Aires performte sie die Protesthymne »Baraye« des zwischenzeitlich ebenfalls inhaftierten iranischen Musikers Shervin Hajipour auf Farsi. Das Konzert wurde in 3500 Kinos in mehr als 70 Ländern live übertragen.
Zar Amir Ebrahimi
Auch Zar Amir Ebrahimi ist eine Art Pionierin – sie wurde in den ersten Promi-Sex-Tape-Skandal Irans verwickelt, der auch international Beachtung fand. Die 1981 geborene Ebrahimi wurde durch die Serie »Nargess« national bekannt. Rund 70 Prozent der iranischen Bevölkerung verfolgten die Seifenoper, in der Ebrahimi eine der populärsten Figuren verkörperte. Nach Ausstrahlung der letzten Episode tauchte 2006 im Netz und bald darauf auf DVD ein Amateurfilm auf, der ein Paar – angeblich Ebrahimi und ihren damaligen Partner – bei einvernehmlichem Sex in einem schummrigen Zimmer zeigt. Der Film verbreitete sich schnell, bis zu 100 000 DVDs sollen zwischenzeitlich unter der Ladentheke verkauft worden und in Umlauf gewesen sein. Ebrahimi geriet unter Druck, wurde verhört und beharrte darauf, nicht die Frau im Video und somit Opfer einer Fälschung ihres Ex-Freundes – dessen Name sie bis heute nicht genannt hat – zu sein. Eine durchaus einleuchtende Taktik, weil nach iranischem Recht für eine Verurteilung Beweise oder ein Geständnis erforderlich sind.
Der damalige Präsident Mahmud Ahmadineschād sprach trotzdem von einer »nationalen Schande« – meinte damit vor allem die Frau im Film. Der männliche Protagonist des Softpornos, der das Video mutmaßlich auch verbreitet hatte, floh nach Armenien. Er wurde von dort ausgeliefert und erhielt eine mehrjährige Haftstrafe, aus der er nach zwei Monaten bereits entlassen wurde. Bis heute ist er in der Filmbranche im Iran tätig. Ebrahimi erhielt ein zehnjähriges Berufsverbot, formal angeklagt wurde sie zunächst nicht. Als Freunde sie aber über neue Ermittlungen informierten – bei einer Verurteilung nach islamischem Recht hätten ihr bis zu 99 Peitschenhiebe und Haft gedroht –, floh sie. 2009, nach ihrer Flucht, trat ein Gesetz in Kraft, das für die Verbreitung von Pornografie die Todesstrafe vorsieht. Ebrahimi, die bis heute wie Farahani in Frankreich lebt und seit 2017 französische Staatsbürgerin ist, gab erst Jahre später zu, tatsächlich die Frau in dem Video gewesen zu sein.
Ihre Karriere nahm in den vergangenen Jahren eine Wendung. Regisseur Ali Abbasi, prominent geworden mit der schwedischen Produktion »Border«, hatte sie als Casting Director für seinen Film »Holy Spider« engagiert, obwohl sie eigentlich die Hauptrolle spielen wollte: eine Journalistin, die in der heiligen Stadt Maschhad einen Serienmörder sucht, der in angeblich göttlicher Mission Prostituierte ermordet. Der Film basiert auf einer realen Mordserie im Iran vor rund 20 Jahren. Abbasi fand Ebrahimi zu sanft für die Rolle der Journalistin – welch ein Irrtum. Kurz vor Drehbeginn in Jordanien sprang die gecastete Hauptdarstellerin kurzfristig aus Angst vor Repressionen im Iran ab. Darüber geriet Ebrahimi derart in Rage, heißt es, dass Abbasi sie mit anderen Augen gesehen habe und aus dem Stand besetzte. Ebrahimi wurde bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes als beste Schauspielerin ausgezeichnet, »Holy Spider« geht als dänischer Beitrag für den besten fremdsprachigen Film bei den Oscars 2023 ins Rennen und war zugleich für den Europäischen Filmpreis nominiert.
Golshifteh Farahani und Zar Amir Ebrahimi agieren nur aus einer vermeintlichen Sicherheit der Diaspora, wie der Angriff auf Salman Rushdie im August diesen Jahres beweist. Der Attentäter gab an, Sympathisant der iranischen Revolutionsgarden zu sein. Gefährlicher ist es nur im Iran selbst. Die Regisseure Jafar Panahi und Mohammad Rasoulof sind in Evin inhaftiert. Die Schauspielerin Soheila Golestani posierte in einem Clip für Instagram stumm ohne Hijab. Sie wurde wie ihre Kolleginnen Hengameh Ghaziani und Katayoun Riahi für dieselbe Geste vorübergehend festgenommen. Auch Taraneh Alidoosti, die als eine der wichtigsten iranischen Schauspielerinnen gilt und mehrfach mit Asghar Farhadi arbeitete – unter anderem für den oscarprämierten »The Salesman« – zeigte sich von Beginn an solidarisch mit den Protestierenden. Am 9. November teilte sie auf ihrem Instagram-Account ein Foto von sich ohne Hijab und hielt dabei ein Schild mit der Aufschrift »Frauen, Leben, Freiheit« auf Kurdisch in die Kamera. Ihr letzter Post verurteilt die Hinrichtung von Mohsen Shekari am 8. Dezember. Der 23-Jährige war das erste Opfer, das vom Regime offiziell wegen der Teilnahme an den Demonstrationen ermordet wurde. Alidoostis Zukunft ist wie die aller Menschen, die ihre Öffentlichkeit im Iran für Protestaktionen nutzen, ungewiss. Ein Berufsverbot ist noch das Geringste, was sie befürchten müssen, wenn das totalitär-theokratische Regime erneut gewinnen sollte.
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