Filmfest Hamburg 2022
»No Bears« (2022). © JP Production
Schön, wenn ein Festival einem Filmemacher oder einer Region die Treue hält. Beim Filmfest Hamburg kann man sich in jedem Jahr auf Filme aus dem Iran freuen, In diesem Jahr waren das drei, die gerade erst beim Festival von Venedig ihre Weltpremiere erlebt hatten. In »No Bears« übernimmt Regisseur Jafar Panahi wiederum die Hauptrolle, aber trotz erneut komischer Momente geht ihm die Leichtigkeit seiner letzten Filme ab – als habe er beim Drehen schon geahnt, dass er irgendwann die gegen ihn verhängte Gefängnisstrafe antreten müsse, was im Juli diesen Jahres geschah. Hier verkörpert Panahi einen Regisseur, der per Videoschaltung die Dreharbeiten seines Films im Ausland dirigiert und gleichzeitig in dem entlegenen Ort, in den er sich zum Arbeiten zurückgezogen hat, in einen lokalen Konflikt hineingezogen wird, der den Konflikt in seinem Film spiegelt.
Auch Vahid Jalilvands »Beyond the Wall« spielt auf zwei Ebenen, ist zum einen ein Kammerspiel um einen fast blinden Mann, in dessen Wohnung eine Frau Zuflucht vor der Polizei sucht, zum anderen ihre Erzählung dessen, was ihre Verfolgung ausgelöst hat. Bevor sich das Ganze am Ende als raffiniertes Vexierspiel zweier Zeitebenen herausstellt, entwirft der Film ein eindringliches Bild staatlicher Willkür im Iran, wenn Vertreter der Obrigkeit immer wieder in die Wohnung des Mannes eindringen. Auch der dritte iranische Film lief auf zwei Ebenen ab: in Houman Seyedis »World War III« wird ein Tagelöhner für die Dreharbeiten eines Films engagiert und übernimmt, trotz fehlender Erfahrung, schließlich die Hitler-Rolle darin, weil er dem Diktator angeblich ähnlich sehe. Die Filmemacher werden selber zu Diktatoren und verwandeln ihn in ein Monster, hieß es in der Ankündigung. Mir fiel es allerdings schwer, den Protagonisten nur als unschuldiges Opfer zu sehen, dafür ist sein Fehlverhalten zu offensichtlich. Aber gerade aus dieser Ambivalenz bezieht der Film, trotz gelegentlicher sentimentaler Anwandlungen seine Stärke.
Von der Illusionsmaschine Kino, die beim Filmemachen die Beteiligten in Mitleidenschaft zieht, erzählte auch der französisch-belgische »The Worst Ones« von Lise Akoba und Romane Gueret. Hier sind es allerdings eher die Kinder und Jugendlichen, die die Geduld der Filmemacher auf eine Belastungsprobe stellen, gleichzeitig vermengen sich auch hier Realität und Leinwandrealität.
Das Thema der Ausbeutung minderjähriger Darsteller wurde erst kürzlich wieder anhand von Ulrich Seidls »Sparta« problematisiert. Nach der Weltpremiere in San Sebastian erlebte er in Hamburg seine deutsche Erstaufführung. Seidl hätte im Rahmen der Vorführung eigentlich als diesjähriger Douglas-Sirk-Preisträger ausgezeichnet werden sollen. Darauf hat das Filmfest verzichtet, kündigte aber an, den Preis dem Filmemacher anlässlich der Hamburg-Premiere seines kommenden Films überreichen zu wollen. Das sich an die Vorführung traditionell anschließende Gespräch mit dem Ausgezeichneten auf der Bühne fand allerdings statt. Mittlerweile hat auch der Verleih, der die letzten Seidl-Filme in Deutschland in die Kinos brachte, den Vertrag für diesen unterzeichnet. Ob man dann zum Kinostart mehr darüber wissen wird, was bei den Dreharbeiten vorgefallen ist oder nicht, bleibt abzuwarten.
Mit Preisverleihungen hält man sich in Hamburg vergleichsweise zurück, insgesamt zwölf wurden in diesem Jahr vergeben, davon gleich zwei (bester Kurzfilm, bester Langfilm) im Rahmen des Molodist Kylv International Film Festival, das in diesem Jahr in Hamburg zu Gast war, um sieben Lang- und 12 Kurzfilme aus der Ukraine zu präsentieren – eine lobenswerte Initiative, mit der das Festival seinen politischen Anspruch unterstrich, zu dem auch wieder gehörte, den Gästen statt Blumen eine Urkunde zu überreichen, die besagt, wofür das Geld in diesem Jahr gespendet wird.
Zu den weiteren Preisträgern zählte Cristian Mungius »R.M.N.« (Preis der Filmkritik), der die Geschichte eines Heimkehrers, der zuvor in einem deutschen Schlachthof gearbeitet hatte, mit der wachsenden Fremdenfeindlichkeit in einer rumänischen Kleinstadt verknüpft, wobei der Protagonist viele falsche Entscheidungen trifft. Nicht weniger eindringlich war Emmanuelle Nicots »Dalva« aus Belgien (NDR-Nachwuchspreis), in dem die zwölfjährige Protagonistin nicht verstehen kann, warum ihr Vater eines Nachts verhaftet wird und sie sich in einem Heim wiederfindet. Er habe sie immer geliebt und vor allem Bösen beschützt, vor anderen Menschen ebenso wie generell vor der Außenwelt. Zu begreifen, was er ihr angetan hat, wird für Dalva zu einem langwierigen Erkenntnisprozess. Das Filmfest Hamburg war auch in seinem 30. Jahr wieder eine Reise wert.
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