Kritik zu Der anatolische Leopard
Im stilsicheren Debüt des türkischen Regisseurs Emre Kayis wehrt sich ein schwermütiger Zoodirektor auf nicht ganz legale Weise gegen die Schließung seines Zoos
Bisweilen wähnt man sich in diesem gemächlichen, mit unendlicher Lakonie zwischen Tragik und Humor balancierenden Film im Finnland von Aki Kaurismäki. Besonders die Hauptfigur, der melancholische, wortkarge Zoodirektor Fikret, dem sich jedes seiner 22 Dienstjahre in Form einer Sorgenfalte ins Gesicht gegraben hat, erinnert an die Protagonisten Kaurismäkis. Doch auch die Stadt, in der »Der anatolische Leopard« spielt, sieht so nasskalt aus, dass sie mehr an Helsinki denn an Ankara denken lässt. Die Tristesse passt zur Handlung, denn es geht hier um lauter Enden: Der Zoo, offenbar eine traditionsreiche Institution, soll privatisiert und in einen Vergnügungspark mit dem schönen Namen »Aladdin's Magic Lamp« umgewandelt werden. Für den Direktor bedeutet die Privatisierung das berufliche Aus, doch es ist offensichtlich nur eine von vielen Niederlagen in seinem Leben.
Regisseur Emre Kayis braucht nur eine kurze, tragische Szene, um das gescheiterte Familienleben Fikrets zu porträtieren, der seiner Tochter offenbar ebenso wenig bedeutet wie seiner Ex-Frau. Die Inszenierung mit ihren langen Einstellungen und klaren Bildkompositionen lässt ihn allerdings auch in jedem anderen Zusammenhang vollkommen isoliert erscheinen. Zwar scheint er von seinen Mitarbeitern sehr hoch geschätzt zu werden, doch selbst wenn er mit Bekannten zusammensitzt und ein paar Gläschen trinkt, wirkt er ganz allein und gedankenverloren. So zurückhaltend und wirkungsvoll wie die Inszenierung ist Uğur Polats Spiel in dieser Hauptrolle, mit so viel Schwere und Gram, dass es fast ins Komische kippt.
Doch wenn dieser Direktor einer verschwindenden Art angehört, dann umso mehr das Tier, das die Rettung für den Zoo bedeuten könnte: Der anatolische Leopard ist so gut wie ausgestorben, umso kostbarer also das Exemplar in Fikrets Zoo – nicht nur unter Artenschutz stehend, sondern als nationales Symbol verehrt. Solange sich der Leopard im Zoo befindet, kann der Umbau also nicht stattfinden. Dumm nur, dass Fikret bald nur noch den Tod des edlen Tiers feststellen kann. Doch das scheint ihn immerhin für einen Moment aus seiner Lethargie zu reißen: Er lässt den toten Leoparden verschwinden, spurlos, und setzt damit eine Scharade in Gang, die sich gewaschen hat. Ermittler der Polizei und Medien vermuten bald eine Entführung, gar eine große Verschwörung; mehrfach melden Menschen aus verschiedenen Landesteilen, sie hätten den Leoparden gesehen. Nur der Staatsanwalt, der wortreiche, geschichtenselige Gegenspieler Fikrets, scheint etwas zu ahnen.
Zum Krimi entwickelt sich »Der anatolische Leopard« jedoch nicht. Auch eine Romanze, die sich zwischen Fikret und seiner Assistentin Gamze (Ipek Türktan) andeutet, nimmt dann wieder eine ungeahnte Abzweigung. Wie der Film sowieso mit souveränem Understatement die meisten Erwartungen ins Leere laufen lässt, aber trotz charmanter Schlusspointe fast wie sein Held ein wenig ziellos und verloren wirkt. Irgendwo zwischen Satire, parabolischem Drama und melancholischer Komödie, sanft, doch nicht ohne Gift, zeichnet er das Bild einer Gesellschaft in Erstarrung, zerrissen zwischen der Sehnsucht nach Tradition und neoliberalem Kahlschlag – und da ist er vielleicht wieder ganz nah an der realen Türkei.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns