Interview: Ruben Östlund über »Triangle of Sadness«
Woody Harrelson, Ruben Östlund am Set von »Triangle of Sadness« (2022). © Plattform Produktion
Herr Östlund, haben Sie Sich den Begriff »Triangle of Sadness« selber ausgedacht?'
Nein, der stammt aus der Welt der plastischen Chirurgie, er bezeichnet das Dreieck zwischen den Augenbrauen, das deutsche Wort dafür lautet »Sorgenfalten«, so habe ich gelernt. Ein Freund meiner Frau erzählte mir, dass ihn in Los Angeles in einem Restaurant ein Schönheitschirurg angesprochen hätte: er habe da ein großes Dreieck der Traurigkeit – »aber machen Sie Sich keine Sorgen, das können wir mit Botox beheben, in nur 15 Minuten.«.
Stand am Anfang dieses Filmprojekts der Wunsch, sich mit der Welt der Models zu beschäftigen?
Nein, das ergab sich durch meine Frau, die als Modefotografin arbeitet. Als wir uns kennen lernten, entwickelte ich ein großes Interesse an ihrer Arbeit und an der Modewelt, aus der ich vorher überhaupt niemanden kannte. Ich wurde neugierig, als ich merkte, dass Schönheit dort eine Währung ist, eine Möglichkeit für die Models, in der Gesellschaft aufzusteigen. Ich erfuhr etwa von einem männlichen Model, er arbeitete als Mechaniker in einer Garage, wurde entdeckt und war zwei Jahre später eines der bestbezahltesten männlichen Models auf der ganzen Welt. Aber dann wurden seine Haare schütterer. Er machte eine Parfümkampagne und niemand in dieser Preisklasse wollte ihn für etwas anderes engagieren. Sein Agent sagte zu ihm, wenn er sich mit einem berühmten weiblichen Model einlassen würde, dann hätte er vielleicht noch zwei weitere erfolgreiche Jahre vor sich. Vieles im Film wurde durch die »MeToo«-Bewegung beeinflusst, die die Frage von Macht und Sexualität stellte. Auf der Insel ist sich Carl seiner Sexualität und der damit verbundenen Macht vollkommen bewusst. Wir mögen an die Idee der freien Liebe glauben, aber der Zusammenhang von Liebe und Ökonomie holt uns immer wieder ein.
Wenn Sie Sich mit der Welt von Models, Influencern und den »neuen Reichen« beschäftigen, ist da eine satirische Betrachtungsweise naheliegend? Oder gab es für Sie auch einmal Alternativen?
Vielleicht hat sich das so entwickelt, aber es war nicht von vornherein meine Absicht. Ich wollte keinen Themen-Film machen, sondern einen wilden Film – in dem ein marxistischer Kapitän vermutlich der extremste Charakter ist, die absurdeste Figur. Ich wusste, dass sich der Film auf einen absurden Punkt zubewegt, bevor wir auf der Insel landen.
Was hat Sie zu dieser Figur inspiriert?
Meine Mutter. Die entwickelte sich in den sechziger Jahren nach links und sie ist eine der wenigen, die immer noch Kommunistin ist. Entsprechend gab es oft politische Diskussionen in meiner Familie. Ich selber wurde sehr früh mit der Soziologie vertraut gemacht, da meine Mutter als Lehrerin soziologische Experimente mit ihren Schülern anstellte. Ich war ein wenig geschockt, als ich erfuhr, dass sie mit Schülern der dritten Klasse den Solomon-Konformitätstest durchführte, bei dem es darum geht, wie die Gruppe das Individuum beeinflusst. Anders als marxistische Theorien wird die Soziologie nicht kontrovers beurteilt wird. Die Welt von einem materialistischen Standpunkt zu betrachten ist Teil meiner Erziehung.
Ich habe den Eindruck, das sich Ihre Haltung gegenüber dem Publikum verändert hat. Ich kann mich mit dem Protagonisten aus »Höhere Gewalt« identifizieren und auch mit dem aus »The Square«, aber hier funktioniert das nicht.
Ich gebe Ihnen recht, das sind extreme Milieus – aber es gibt bestimmte Situationen, in die wir uns einfühlen können, auch wenn das nicht unbedingt Situationen aus unserem Alltag sind. Die Identifikation, die ich hier anstrebe, läuft weniger über die Figuren als über die Situationen. Nehmen Sie nur die Szene zwischen Carl und Yaya im Restaurant zu Beginn. Dieselbe Situation habe ich mit meiner Frau durchlebt, als wir uns kennen lernten.
Spüren Sie eine Verwandtschaft zu Michael Haneke?
Durchaus. Jemand schrieb einmal, meine Filme seien eine Mischung aus Haneke und (dem amerikanischen Autor und Darsteller) Larry David. Das gefällt mir, ich liebe Michael Haneke und seine Filme. Tatsächlich hat er mir bei diesem sogar geholfen.
Inwiefern?
Ich habe ihm den Film gezeigt, weil ich ein Problem mit dem dritten Teil hatte. Der Film fordert das konventionelle Geschichtenerzählen heraus, wegen des dritten Teils und weil fortwährend neue Figuren hinzukommen. Er meinte, je früher ich Abigail auf der Insel einführe, desto schneller habe ich eine Verbindung zum Rest des Films. So habe ich da viel reduziert, das funktionierte dann.
War Ihnen von Anfang an klar, dass am Ende offen bleibt, ob Abigail ihren Plan in die Tat umsetzen wird?
Ja, das war es. Wobei ich es nicht wichtig finde, ob sie es macht oder nicht. Wichtig ist nur, dass die Möglichkeit für Gewalttätigkeit besteht, dass der Zuschauer die Umstände versteht. Mir war es bei diesem Film wichtig, wegzukommen davon, mit dem Finger auf das Individuum zu zeigen. Wir leben in einer Zeit, die besessen ist vom Individuum, aber nicht auf den Kontext schaut.
War das Publikum bei Gesprächen nach dem Film dabei gespalten in jene, die Abigails Verhalten in Bezug auf Carl angemessen finden, und solche, die es verurteilen?
Häufig haben die Zuschauer applaudiert, wenn sie sagt, »Auf dem Schiff Reinmachfrau, hier Kapitän!«, auch das Mittelklassenpublikum in Cannes machte das. Selbst wenn wir in einer abgeschlossenen Gruppe leben, schätzen wir es doch, wenn jemand die gesellschaftliche Leiter hinaufklettert und sich durchsetzt – unabhängig von unserer eigenen Position in der Gesellschaft. Einige haben gesagt, es gibt kein Ende, was den Missbrauch von Gewalt anbelangt, aber das ist nicht meine Auffassung: es gibt viele Möglichkeiten, den Missbrauch von Gewalt zu reduzieren.
Sie sind einer von weniger als einem Dutzend Regisseuren, die zweimal beim Festival von Cannes die »Goldene Palme« gewonnen haben. Haben Sie nie die Befürchtung, das könne sie zu einer gewissen Trägheit verleiten?
Nein, ich denke, ich bin zu alt als das mich das noch besonders bewegt. Andererseits gibt es auch noch die Möglichkeit, dass ich sie zum dritten Mal gewinne – und dann wäre ich der Einzige!
Für mich verbindet »Triangle of Sadness« Elemente aus ihren beiden vorangegangenen Filmen – werden Sie mit Ihrem nächsten Werk möglicherweise in eine ganz andere Richtung gehen?
Mein nächster Film trägt den Titel »The Entertainment System is Down« und spielt während eines Langstreckenfluges. »The Square« und »Triangle of Sadness« hatten jeweils einen Höhepunkt, im ersten Film die Affenperformance, im zweiten das große Kotzen. Im nächsten Film wird es den totalen Antiklimax geben, der Zuschauer muss drei Minuten über sich ergehen lassen, in denen absolut gar nichts passiert. Das soll für das Publikum eine größere Herausforderung werden als die Schocks der beiden letzten Filme: die Qual, dazusitzen und mit seinen eigenen Gedanken konfrontiert zu werden.
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