Kritik zu Mariupolis 2
Der litauische Dokumentarfilmer Mantas Kvedaravicius, bei den Dreharbeiten erschossen, hinterlässt ein erschütterndes Augenzeugendokument des Krieges
Ein Mann hebt den Splitter einer Granate auf, die gerade in unmittelbarer Nähe der Kirche in Mariupolis in der Ukraine eingeschlagen hat. Dutzende Menschen haben hier Unterschlupf gefunden, seit feindliches Militär die Stadt unter Dauerbeschuss hält. Der Mann kann das erhitzte Stück Metall aber nur ganz kurz in den Fingern halten, ohne sich zu verbrennen, und wirft es dem Nächsten zu, der tut dasselbe. So springt das heiße Eisen von Hand zu Hand wie ein Spielball, bis jemand mahnt: »Das ist kein Witz, das ist der Tod.«
Was hier ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn den Weg ins Kino gefunden hat, sind Bilder, die der litauische Filmemacher Mantas Kvedaravicius festgehalten hat. Er wurde während seiner Dreharbeiten am 30. März von russischen Soldaten erschossen. Als Russland im Februar die Ukraine überfiel, war der 45-jährige Kvedaravicius nach Mariupol zurückgekehrt, wo er bereits 2015 den Dokumentarfilm »Mariupolis« gedreht hatte.
Nach seiner Ermordung war es seiner ukrainischen Lebensgefährtin gelungen, das Material zu sichern und mit einer befreundeten Editorin zu einem zweistündigen Zeugnis des bangen Ausharrens in der umkämpften und größtenteils zerstörten Hafenstadt zu montieren. Am Horizont steigen Rauchschwaden vom nahe gelegenen Stahlwerk auf, immer wieder sind Schusswechsel und dumpfe Einschläge zu hören. Die Bilder sind erschütternd, aber nicht voyeuristisch.
Statt Kampfszenen und Kriegsheldentum zeigen sie in langen Einstellungen das Zermürbende der Situation, aber auch einen stoischen Pragmatismus. In einem Moment kehrt jemand Scherben, Schutt und Splitter im Kirchhof zusammen, der womöglich bald erneut Ziel von Angriffen sein wird. Ein kurzer Moment des Ordnungmachens angesichts des nicht beherrschbaren Chaos draußen. Ganz am Ende ist das Porträt von Mantas Kvedaravicius zu sehen – eines der vielen Opfer eines Angriffskrieges, der noch andauert.
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