Interview: Elizabeth Gabler über »Der Gesang der Flusskrebse«
Foto: Sebastian Reuter. © Getty Images for Sony Pictures
Mrs. Gabler, vor zehn Jahren waren Sie schon einmal hier in Berlin, damals mit Ang Lees Film »Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger«...
Ich erinnere mich. Lassen Sie mich Ihnen verraten, dass er in seinem nächsten Film die Geschichte von Bruce Lee erzählen wird. Daran arbeitet er seit fünf Jahren, das ist ein absolutes passion project für ihn.
»Life of Pi« basierte, wie viele andere Filme, die Sie als Präsidentin von Fox 2000 verantworteten (bevor diese Abteilung nach der Übernahme von Fox durch Disney abgewickelt wurde), auf einer Romanvorlage. Wenn Sie beschließen, aus einem Roman einen Film zu machen, lesen Sie da jedes mal das Buch selber um Ihr eigenes Interesse zu erkunden oder aber reichen manchmal auch schon Rezensionen oder Leserreaktionen?
Ich lese selber, ich verschlinge Bücher geradezu, manchmal lese ich drei Bücher parallel. Ich muss jedes Buch selber lesen – wenn ich für mich nicht sagen kann, wie ich dieses Material in kinematografische Form adaptieren kann, dann ist es besser, wenn jemand anderer das macht. Ich muss immer wissen, wie der Pfad für mich aussehen wird, muss eine Vision entwickeln und eine Leidenschaft dafür haben. Das geht nur, wenn ich selber lese und die Bücher genau studiere. Ich lese ein Buch mehrfach und höre mir zudem das Audiobuch an, wenn es bereits vorliegt. Viele Bücher bekommen wir heute allerdings in Manuskriptform, teilweise schon lange vor der Veröffentlichung oder bevor Lektoren es zu Gesicht bekommen haben. Ich bevorzuge veröffentlichte Bücher, weil ich dann auch die Reaktionen anderer Leser mit meinen eigenen vergleichen kann.
Aber manchmal muss man eine Option schon vor der Veröffentlichung ausüben?
Das stimmt, bei »Gesang der Flusskrebse« geschah das allerdings erst kurz nach der Veröffentlichung. Ausschlaggebend war nicht die Tatsache, dass es ein großer Bestseller war, sondern die Leidenschaft auf Seiten von Reese Witherspoons Produktionsgesellschaft 'Hello Sunshine' und bei mir, die uns dazu veranlasste. Wir bekommen viele Manuskripte, die noch nicht fertig sind, manchmal sogar nur Konzepte, aber hier hatten wir glücklicherweise den kompletten Roman.
Bei »Life of Pi« war offensichtlich, wo die Schwierigkeiten einer filmischen Umsetzung lagen, nämlich, in welcher Gestalt der Tiger im Film zu sehen sein sollte. Ein Regisseur wollte es mit einem echten Tiger machen, Ang Lee setzte schließlich auf CGI. Worin lagen die Herausforderungen hier?
Die Herausforderung lag in der Struktur. Es war uns wichtig, viel von dem Suspense zu bewahren und die verschiedenen Zeitebenen, auf denen sich die Geschichte entfaltete, dem Zuschauer verständlich zu machen: die Spannung während des Mordprozesses und die große Enthüllung ganz am Ende. Zudem mussten wir dem Zuschauer die Figuren nahebringen – vieles im Buch spielt sich ja im Kopf der Protagonistin Kya ab. Dabei halfen uns die Zeichnungen und Gemälde, die sie anfertigt, um ihre Verbundenheit mit der Natur zu zeigen. Wir hatten viel Material, dass wir verdichten mussten, ihre Entwicklung vom Kind zum Teenager und zur erwachsenen Frau – das wäre sonst ein Vierstunden-Film geworden. Die Produktion selber war noch einmal etwas Anderes. Wir mussten den Film in einer bestimmten Jahreszeit drehen, wegen des Wetters – wir wollten ja nicht in einen Hurrikan geraten.
Haben Sie komplett on location gedreht?
Einige Innenaufnahmen, wie die Gefängnisszenen und das Innere des Kramladens von Jumpin' und Mabel, wurden im Studio gebaut, das Gerichtsgebäude dagegen war echt, Kyas Hütte wurde in einem Naturgebiet errichtet, der Ort war ein realer Ort – der übrigens nach dem Ende der Dreharbeiten von einem Hurrikan schwer verwüstet wurde.
Ich vermute, die Leserschaft des Buches weist altersmäßig eine große Bandbreite auf – ich weiß nicht, ob es inzwischen auch Schullektüre ist...
Das nicht, aber sehr viele Buchclubs nahmen es in ihr Angebot auf, dadurch bekam es eine gute Mundpropaganda, auch viele Bibliothekare setzten sich dafür ein, zudem viele Buchhandlungen im ganzen Land, speziell unabhängige, die es in ihren Schaufenstern heraushoben. Anfangs waren es vor allem weibliche Leser, inzwischen hat es aber auch die männliche Leserschaft erreicht.
Machen es diese unterschiedlichen Altersgruppen notwendig, unterschiedliche Marketingkampagnen zu entwickeln?
Die unterscheiden sich mehr von Land zu Land als innerhalb der USA. Wir entschieden uns dafür, es von dem murder mystery her zu bewerben, vom Suspense-Element: jemand ist ums Leben gekommen – gibt es einen Schuldigen? Diese arme Außenseiterin wird angeklagt, was ist wirklich geschehen? Dazu ein bisschen von der Romanze und die einzigartige Landschaft. Anderswo wurde mehr Wert auf die Romanze gelegt, die Protagonistin zwischen den beiden so gegensätzlichen Männern.
Der Film wird weltweit von Sony in die Kinos gebracht, aber es gibt in einzelnen Ländern unterschiedliche Kampagnen und Plakate?
Ja.
Aus der Lektüre der Production Notes wurde mir nicht ganz klar, was genau Ihre Rolle bei diesem Projekt war und wie sich die Zusammenarbeit mit Sony und Hello Sunshine gestaltete.
Reese Witherspoon ist eine gute Freundin, mit der ich bei verschiedenen Filmen zusammengearbeitet habe. Ihre Produktionspartnerin, die die Präsidentin ihrer Filmabteilung ist, hatte früher auch einen Leitungsposten bei Fox inne, so kenne ich auch sie gut. Als Reese den Roman für ihren Buchclub ausgewählt hatte, las ich ihn und fragte sie, ob sie Absicht hätten, daraus einen Film zu machen. Das schaffen wir nicht, meinten sie. Würdet Ihr es mit uns zusammen machen, fragte ich. Klar! So erwarben wir bei Fox 2000 eine Option und engagierten sie als Produzenten. Als wir mit unserer neuen Gesellschaft, 3000 Pictures, zu Sony gingen, nahmen wir dieses Projekt mit. Ich war aber, wie bei »Life of Pi«, sehr oft am Drehort, war bei den Musikaufnahmen dabei, beim Casting, bei der Auswahl der Drehorte – wir arbeiten einfach sehr eng zusammen.
Schaffen Sie das bei jedem Film, den 3000 Pictures produziert?
Ja, das ist unsere Art zu arbeiten.
Das schränkt aber die Anzahl der Filme ein – auf zwei pro Jahr?
Nicht unbedingt, da sie sich in unterschiedlichen Stadien befinden – während der eine gerade gedreht wird, befindet sich der andere in der Postproduktion, ein dritter wird vorbereitet. Wir sind einfach ein gutes Team, die beiden Senior-Produzentinnen fingen bei uns als Praktikantinnen während ihrer Collegezeit an – und sind nie weggegangen.
Ich habe den Eindruck, dass Filme dieser Art eine bedrohte Spezies sind – ich glaube nicht, dass Disney so etwas heute machen würde. Alle die kleineren, die arthouse-Filme, die Disney in den letzten zwei Jahren herausgebracht hat, wie Chloé Zhaos »Nomadland« oder Guillermo del Toros »Nightmare Alley«, entstanden noch für Fox. Ist es heute schwieriger geworden, solche Filme zu machen, verglichen mit der Zeit, als Sie Präsidentin von Fox 2000 waren?
Ja, ein Film wie »Der Gesang der Flusskrebse« erinnert Menschen an Zeiten, als sie noch regelmäßig ins Kino gingen. Das Schwierigste ist, eine bestimmte Altersgruppe daran zu erinnern. Das junge Publikum rennt ins Kino, um »Spider-Man« zu sehen, das Familienpublikum mit Kindern kommt langsam zurück, aber für die Älteren, die ernsthafte Dramen sehen wollen, gab es keinen großen kommerziellen Film, nur kleine Independent-Filme. Da ist »Der Gesang der Flusskrebse« eigentlich der erste. Wenn er an den Kinokassen Erfolg hat, ist das ein Triumph für jeden in der Filmindustrie, denn er erinnert die Menschen daran, wie es war, als sie regelmäßig ins Kino gingen – genau das ist unser Ziel, unser Traum, dass die Menschen sich erinnern und wieder die alte Aufregung verspüren.
Wird dieser Film dieselbe Auswertungskette durchlaufen wie Filme in früheren Zeiten? Also zuerst eine Home Entertainment-Veröffentlichung durch Sony, dann im Stream oder im linearen Bezahlfernsehen und zuletzt im Free-TV? Oder hat sich da etwas geändert? So veröffentlicht Universal in Deutschland Filme jetzt schneller nach dem Kinostart, während Warner manche Titel nur noch als Downloads, aber gar nicht mehr als physische Produkte herausbringt.
Sony beobachtet sehr genau, wie der Kinostart, besonders in den USA, läuft, danach wird dann entschieden, wann andere Auswertungsformen beginnen. Der Kinostart wird respektiert, wir hoffen, dass es einige Monate dauert, bis der Film anderswo verfügbar sein wird.
Es gibt einen Output-Deal mit Netflix?
Ja.
Gibt es für die Veröffentlichung dort ein bestimmtes Zeitfenster oder ist das variabel, je nach dem Kinoerfolg des Films?
Sony hat mir gesagt, dass sie sehr genau beobachten, welche 'legs' ein Film im Kino hat, wie er langfristig läuft, ob ihn eine positive Mundpropaganda befeuert. Wir alle wollen, dass der Film im Kino gesehen wird.
Eines Ihrer nächsten Projekte ist eine Neuverfilmung von D.H. Lawrences Skandalroman »Lady Chatterley's Lover«. War das ein Projekt, das Sony nicht kinotauglich erschien?
Das ist eine etwas andere Sache, Sie wissen, dass dieser Roman schon mehrfach verfilmt wurde. Unsere Fassung ist sexuell explizit, R-Rated, ein britischer Kostümstoff aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Wir hatten den Eindruck, dass er die besten Erfolgsaussichten hat bei Netflix. Wir haben ihn dort vorgeschlagen und dann die ganze Produktion überwacht, mein Kollege war die ganze Zeit über am Set in Wales, ich selber reiste hin und her – wir haben ihn wie einen Kinofilm behandelt, wir haben Hand in Hand mit Netflix gearbeitet, das war eine sehr befriedigende Erfahrung.
Wie Sie erwähnt haben, ist das nicht die erste Verfilmung dieser Vorlage. Können wir einen neuen Zugriff erwarten?
Es ist das erste Mal, dass eine Frau, eine Französin, ihn in englischer Sprache inszeniert. Es ist keine modernisierte Version des Stoffes wie etwa »Persuasion«, der Jane Austen-Roman, der gerade auf Netflix zu sehen ist, mit Dakota Johnson in der Hauptrolle, den sie á la »Bridgerton« gemacht haben.
Wie weit planen Sie im Voraus? Die IMDb listet bereits ein Dutzend Projekte für 3000 Pictures.
Wir entwickeln derzeit eine weitere Literaturadaption, Kazuo Ishiguros »Klara and the Sun«, die wir mit David Heyman realisieren, dann »The Paris Apartment«, ein Thriller nach Lucy Foley, der in einem höchst luxuriösen Apartment in Paris angesiedelt ist. Wir planen zudem eine Miniserie »Girl A« (nach der Vorlage von Abigail Dean), das sind die nächsten. Wir haben 4-5 Miniserien in Planung.
Bei Fox 2000 hatten Sie auch Erfolg mit Filmen, die keine 'Oscar'-Anwärter waren, aber große Kinoerfolge, wie die Reihe um »Alvin and the Chipmunks«. Planen Sie heute etwas Vergleichbares?
Wir haben ein Projekt mit dem Titel »Beasts and Beauty: Dangerous Tales«, bei dem die klassischen Märchen der Gebrüder Grimm neu erzählt werden, aber ziemlich wild und edgy. Filme solcher Art würden heute eher von der Columbia-Abteilung von Sony hergestellt, ich denke etwa an »Lyle, Lyle, Crocodile«, aber wenn das richtige Projekt kommt, würde es mir Spaß machen – ohne den Erfolg der »Alvin«-Filme hätten wir »Life of Pi« kaum machen können. Mir hat das damals Spaß gemacht, ich bin mit diesen Figuren aufgewachsen, es war schön, sie für eine neue Generation neu aufzustellen, meine Tochter war damals klein.
Die Zukunft des Kinos wird derzeit weltweit debattiert. Wie sehen Sie das?
Im Augenblick ziemlich positiv. Hätten Sie mich das vor einem Monat gefragt, hätte ich gesagt, »mal abwarten«. Jetzt, wo ich mit diesem Film durch Europa reise und sehe, wie die Zuschauer ihn in die Arme schließen, sehe ich die Zukunft positiv. Es gibt so viele junge, talentierte Filmemacher, mit denen ich gerne arbeiten möchte.
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