Kritik zu Potato Dreams of America
Wes Hurley erzählt autobiografisch inspiriert von der Kindheit eines schwulen Jungen in der Sowjetunion der 1980er Jahre und dann dem Ankommen samt Coming-out als Jugendlicher in den USA
Seine eigene Geschichte hat Wes Hurley schon häufiger erzählt. Unter dem Titel »Growing Up Gay in Russia« schrieb der als Vasili Naumenko in Wladiwostok geborene Filmemacher für die »Huffington Post« über seine Kindheit als schwuler Junge in der UdSSR der 1980er Jahre, 2017 feierte dann sein dokumentarischer Kurzfilm »Little Potato« beim SXSW Festival Premiere. Und sogar in eine Virtual-Reality-Experience mit dem Titel »Potato Dreams« verwandelte er die prägenden Erfahrungen seiner ersten Lebensjahre. Dass der Regisseur, dessen Langfilmdebüt »Waxie Moon in Fallen Jewel« jenseits queerer Festivals kaum wahrgenommen wurde, auch noch einen Spielfilm daraus macht, war also vermutlich nur eine Frage der Zeit.
»Potato Dreams of America« ist nun im Grunde ein zweigeteilter Film – und das ganz bewusst. Anfangs erzählt Hurley auch hier vom Aufwachsen in der Sowjetunion, wo er als fröhlich-optimistischer Junge heraussticht aus dem grauen Alltag, mit seinen Träumen, die von Hollywoodfilmen inspiriert sind, die mehr schlecht als recht dank einer improvisierten Antennenkonstruktion über den Bildschirm flimmern. Während der kleine Vasili (Hersh Powers) von Jean-Claude Van Damme schwärmt (dessen prägender Eindruck auf heranwachsende schwule Männer einer bestimmten Generation nicht unterschätzt werden darf, wie neulich auch schon »Flee« erzählte), ist seine Mutter Lena (Sera Barbieri) als Gefängnisärztin zusehends frustriert von der politischen Alltagsrealität.
Bewusst verzichtet der Regisseur in dieser ersten Filmhälfte, die Wahrhaftigkeit seiner Geschichte auch stilistisch umzusetzen, sondern setzt seine Schauspieler*innen lieber in Kulissen, die an Sitcom-Sperrholz erinnern, und lässt sie breites Amerikanisch sprechen. Als Lena sich dann als Katalogbraut versucht und so ihrem Sohn und sich einen Neuanfang in den USA ermöglicht, wechselt nicht nur die Besetzung (mitsamt plötzlich starkem russischen Akzent), sondern auch die nun deutlich realistisch anmutendere Optik und sogar der Score. Und sowohl Lena (Marya Sea Kaminksi), deren grummelig-konservativer Mann John (Dan Lauria) sein eigenes Geheimnis mit sich herumträgt, als auch Vasili (Tyler Bocock), der nun voll und ganz mit seinem Coming-out beschäftigt ist, müssen sich in Seattle erst einmal einleben.
Ganz unverblümt zollt Hurley gegen Ende des Films seinem Kollegen Gregg Araki Tribut, und auch wenn »Potato Dreams of America«« nie dessen Mut und Energie entwickelt, steht die Komödie übers Anderssein mit Fantasy-Flair doch klar in der Tradition des Queer Cinemas der 1990er und frühen 2000er Jahre. Nicht nur durch originelle Gastauftritte von Lea DeLaria (»Orange is the New Black«) als Großmutter oder Jonathan Bennett (»Mean Girls«) als Jesus Christus, sondern weil es auch hier gelingt, gewisse Unbeholfenheiten, kleinere Inszenierungsschwächen und ein bescheidenes Budget mit sehr viel Charme und Einfallsreichtum wieder wettzumachen.
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