Das Glück der Ergänzung
Auf einem Filmset hat niemand Zeit. Jeder ist wichtig und steht unter Druck. Die grundlegenden Fragen des Lebens müssen aufgeschoben werden. Tomasz Berg, der als Arzt beim Dreh des Historienfilms engagiert wird, stellt sie sich dennoch. Der Klosterbruder, der als Berater der Produktion fungiert, würde sie ihm gern beantworten.
"Das Leben als geschlechtlich übertragbare Krankheit" von Krysztof Zanussi beginnt im Mittelalter. Das Vibraphon, das in Wojciech Kilars Partitur erklingt, irritiert in diesem Zusammenhang. - Aber erst nach geschlagenen zehn Minuten enthüllt sein Regisseur, dass wir Zaungäste von Dreharbeiten sind. Der Film im Film handelt von der Bekehrung des Heiligen Bernard. Er ist nicht nur bloßer Anschein, sondern Sprungbrett der existenziellen Fragen, die Dr.Berg umtreiben. Das Entscheidende fehlt ihm in der abgedrehten Szene, es klafft eine Lücke da, wo die Bekehrung stattfinden müsste. Das sei schwer zu erklären, entgegnet der Geistliche und wundert sich, dass der Fragende sich tatsächlich Zeit für die Antwort nehmen will.
Das Kino von Zanussi, dem ich heute zu seinem 83. Geburtstag gratuliere, hängt am Wort. Nein, mehr noch an denen, die es aussprechen. Das entdecke ich wiederum, als ich mir die Doppel-DVD mit »Das Leben« aus dem Jahr 2000 und dessen zwei Jahre später entstandene Fortsetzung "Suplement" ansehe. Sie sind Zwillingsfilme, aber auf eine Art, die ich nicht erwartet hatte. Die polnische DVD-Edition verfügt über mehrsprachige Untertitel, leider aber nicht beim Bonusmaterial, für das Zanussi sich viel Zeit genommen hat.
Im ersten Film tritt Dr Berg (gespielt von einem seiner Stammschauspieler, dem sublimen Zbigniew Zapasiewcz) als eine widerspenstige Version des Klischees vom Halbgott in Weiß auf. Er hält überheblich und herrisch Distanz zu seiner Umgebung. Seine Mundwinkel umspielt gern ein feines, spöttisches Lächeln über die Einrichtung der Welt und Naivität seiner Gesprächspartner. Aber nun geht es auf Leben und Tod. Sein Krebs wurde zu spät entdeckt. ("Ich hatte interessantere Fälle."), die teure Operation in Paris könnte vergeblich sein. Ich glaube, schon vor der Nachricht trug er schwer an der Last seiner intellektuellen Überlegenheit. Jetzt lässt er sich ertappen in seiner Verzweiflung, zuerst von der Kamera, dann von einem jungen Paar, der Kostümbildnerin Hanka und dem Medizinstudenten Filip. Sie sind seine letzte Chance auf menschliche Verbindlichkeit; er wird ihr launischer Ratgeber und ein strenger Gewährsmann ihrer Zukunft. Hanka durchschaut seinen gönnerhaften Ton früher als der zweiflerische Filip, sie ist eine gescheite Komplizin. Tomasz trifft akribische Vorkehrungen, damit ihr Glück sein Vermächtnis werden kann.
Zanussi ringt mit seiner Hauptfigur. Als erfahrener Drehbuchautor weiß er, dass sie nicht so wird, wie er es will, sondern wie sie sein muss. Ein Alter ego ist sie nicht, dafür sind Regisseur und Darsteller zu gewissenhaft. Sie lässt ihn nicht los, denn plötzlich taucht sie in »Suplement« wieder auf. Ich dachte erst, die DVD habe einen Fehler, als hier unversehens eine fünf, sechs, sieben Minuten lange Sequenz aus dem Vorgänger auf den Plan tritt. Zanussi rekapituliert noch einmal die erste Begegnung mit Filip, der von dem erfahrenen Arzt wissen will, wie man in diesem Beruf die Allgegenwart des Todes erträgt und mit Hanka, die er in der Garderobe brüsk auf die Schulter küsst; eine Belästigung, der sie sich frohgemut erwehrt und damit den Grundstein für ihre Freundschaft legt. In der Folge tauchen immer wieder Szenen aus dem vorangegangenen Film ausf aber auch solche, die noch nicht zu sehen waren. Sind das entfallene Szenen? Alternativen? Tatsächlich dachte ich beim Titel zuerst an ein Bonusmaterial, aber »Suplement« soll hier als Ergänzung verstanden werden. Im Kern nutzt Zanussi die Fortsetzung zur Selbstkritik. Dr. Berg wird nun zur impulsgebenden Nebenfigur in der Liebesgeschichte des Paares. Nicht nur er, sondern auch die Zwei erscheinen in anderem Licht.
Das ist eine nachgerade resnaishafte Idee. Aber Zanussi inszeniert keine Scharade der Möglichkeiten wie dieser in »Smoking“/“No smoking«, sondern korrigiert seine ursprüngliche Perspektive. Er holt gleichsam Versäumnisse nach, reichert das Diptychon um eine Backstory von großer Tragweite an. Die Frage nach Wahrheit und Religion, nach Berufung und Hadern stellt er auf Anfang. Filip sucht seinen Weg. Er ringt mit seinem Hochmut und Glauben (eingangs lernt man ihn als Flagellanten im Kloster kennen); er zweifelt nicht an seiner Liebe, wirft sich aber vor, keinen Ausdruck für sie zu finden: Sie formt ihn nicht. Hanka ist die verletzbarere und zugleich robustere Partnerin in diesem Kampf. Sie bringt eine heilsame Leichtfüßigkeit ins Spiel, die Zanussis Film passagenweise das Flair einer Liebeskomödie verleiht. Auch ihre Ansprüche sind hoch. Sie erwartet ein Bekenntnis. Zauberhaft, wie leicht es dann am Ende fällt.
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