Ein Kriegsende

Auch diesen Krieg durfte man nicht so nennen. Im Prinzip konnte man es natürlich; Frankreich ist ja keine Diktatur. Aber bis 1999 war im offiziellen Sprachgebrauch nur von den "Ereignissen in Algerien" die Rede. Heute feiert die Grande Nation den 60. Jahrestag des Friedensvertrags von Evian.

Ob und wie die Algerier das Jubiläum begehen, darüber erfährt man in der französischen Presse wenig. 132 Jahre Kolonialgeschichte sind noch immer ein Stachel im Fleisch beider Nationen. Der Krieg, der offiziell acht Jahre dauerte, ist in Frankreich gerade wieder zum Wahlkampfthema geworden. Präsident Macron hat das Erinnern schon früh auf seine Agenda gehoben. Er spricht von einem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und geißelt auch das Blutbad, das französische Polizisten am 17. Oktober 1961 auf Geheiß des Polizeichefs und Ex-Kollaborateurs Maurice Papon anrichtete. Marine Le Pen und ihre in das Lager Éric Zenmours übergewechselte Nichte Marion Maréchal (die bis 2018 noch den Familiennamen ihres Großvaters trug) sind empört. Die Rechtspopulisten buhlen um die Stimmen der Nachkommen der Veteranen und der pieds noir, den in Algerien geborenen Franzosen, die ihre Heimat verlassen mussten.

Sie haben die Jahreszahl im ersten Absatz richtig gelesen: Es ist gerade 23 Jahre her, dass Frankreich sich dazu bekannte, Krieg in der ehemaligen Kolonie geführt zu haben. Das Land muss die Bilanz einer enormen Verdrängungsleistung ziehen. Im französischen Kino der 1960er ist der Konflikt kaum mehr als eine atmosphärische Folie. In „Die Regenschirme von Cherbourg“ wird Cathérine Deneuves Verlobter eingezogen. Komplotts und Attentatsversuche enttäuschter Algerienkämpfer stehen seit Godards »Der kleine Soldat« im Zentrum eines kleinen Zyklus‘ von Politthrillern, darunter »Der Kampf auf der Insel« von Alain Cavalier. In Alain Resnais‘ „Muriel“ ist erstmals ein traumatisierter Kriegsheimkehrer zu sehen. Diese Perspektive wählt das heimische Kino in der Folge häufiger, bis hin zu »Die Frau des Leuchtturmwärters« von 2004. »Les Oliviers de la justice« (Die Olivenbäume des Gesetzes), den ersten Film, der während des Kriegs in Algerien spielt, dreht ein amerikanischer Regisseur, James Blue.

Die Figur des Algerienkämpfers und -veteranen ist eine Konstante im Werk von Alain Delon. In »Die Hölle von Algier« (wiederum von Cavalier inszeniert) ist er für einmal traumatisiert. Das schmucke, dunkelrote Barett der Fallschirmjäger steht ihm gut. Einmal trägt er es in einer US-Produktion: »Sie fürchten weder Tod noch Teufel«, den Mark Robson 1965 nach einem Roman von Jean Lartéguy dreht. Delon, Anthony Quinn und Co. gehören zu einem Sonderkommando, das in den Bergen und der Hauptstadt die Ordnung aufrecht erhalten soll. Ein ehemaliger Kamerad (ein dunkel geschminkter George Segal), mit dem sie gemeinsam in Indochina kämpften, steht nun auf der gegnerischen Seite. Ein ziemlicher Reißer, der auch in irgendeinem anderen Krieg spielen könnte, aber das Drehbuch von Nelson Gidding ist nicht so manichäisch, wie man es erwarten könnte.

Erst nach der Schonfrist von gut einem Jahrzehnt setzen sich französische Filmemacher explizit mit dem Krieg auseinander. Wohin sie auch blicken, mögen sie kaum Täter, sondern nur Opfer entdecken. In dem Dokumentarfilm »Der Krieg ohne Namen« setzen Bertrand Tavernier und Patrick Rotmann 1992 der verlorenen Generation der Veteranen ein Denkmal, in dem sich das Verdrängte in so bestürzender Weise Bahn bricht, dass es dem reuelosen Folterknecht Jean-Marie Le Pen die Zornesröte ins Gesicht treibt. Welche Brisanz der Konflikt nach wie vor besitzt, demonstriert der Skandal, den Rachid Boucharebs »Hors-la-loi« (Outside the Law) 2010 in Cannes auslöst. Er schildert das Massaker von Setif, mit dem die Kolonialmacht am Tag des Weltkriegsendes, dem 8. Mai 1945, ihren Anspruch auf Algerien blutig bekräftigte. Das Massaker wiederum, das Papon 1961 am Seineufer anrichten ließ, wird erstmals 2005 in einem französischen Film erwähnt, den jedoch ein Österreicher inszeniert hat: »Caché«.

Der berühmteste Film über den Krieg ist natürlich »Schlacht um Algier« von Gillo Pontecorvo. Im Hexagon empfand man die italienisch-algerische Co-Produktion als unverzeihlichen Affront. Die französische Delegation versuchte 1966, die Vorführung in Venedig zu verhindern; erfolglos, der Film gewann den Goldenen Löwen. In Frankreich kam er Anfang der 1970er kurz heraus und wurde nach heftigen Protesten umgehend wieder abgesetzt. Einen richtigen Kinostart hatte er erst Jahrzehnte später. Mir scheint, ich habe an dieser Stelle schon mehrfach über ihn geschrieben; zumal als Lehrstück über den Guerillakrieg, das nach dem 11. September beim Pentagon hoch im Kurs stand. Der Produzent dieses Propagandafilms für das Gelingen, Saadi Yacef, ist im letzten September gestorben. Im Film spielt er sich selbst, ein Mitglied des Generalstabs der Befreiungsfront. Was er damals im Pentagon sagte, hat in diesem Frühjahr einen besonderen Klang: "Keine Armee der Welt kann ein Land bezwingen, das sein eigener Herr sein will."

 

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