Kritik zu This Rain Will Never Stop

© JIP Film

2020
Original-Titel: 
This Rain Will Never Stop
Filmstart in Deutschland: 
24.03.2022
L: 
104 Min
FSK: 
12

Der poetische Dokumentarfilm der Ukrainerin Alina Gorlova wurde beim letztjährigen »goEast«-Festival mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Heute gewinnt die Flüchtlingsgeschichte neue Aktualität

Bewertung: 4
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Es dauert eine ganze Weile, bis man mehr erfährt über die Biografie der Hauptfigur dieses Films. Mit seiner Ex-Freundin übt Andriy Suleyman eine Rede ein, bei einem Fest des Roten Kreuzes mit jeder Menge ukrainischer Folklore, über sein Engagement als Freiwilliger bei den Rapid-Response-Teams der Institution. Bei seiner Arbeit hat ihn Gorlova schon gezeigt, mit einem Konvoi fährt er in die von den prorussischen Freischärlern besetzten Gebiete und verteilt Lebensmittel und Ausrüstungsgegenstände bei bitterer Kälte. »Wer einen russischen Pass beantragt, unterstützt die Eindringlinge«, steht am Kontrollpunkt. 

Andriys Vater ist Kurde, seine Mutter ­Ukrainerin, Andriy wurde in Al-Hasaka in Syrien geboren. Als Andriy in die neunte Klasse ging, war die Familie gezwungen, aus Syrien zu fliehen, und sie siedelte sich an in Lyssytschansk, der Heimatstadt der Mutter in der Region Luhansk, wo 2014 der Donbass-Konflikt aufbrach. Es ist eine über viele Länder verteilte Familie, Andriys Bruder Arseniy lebt in Deutschland, von dem die Eltern glauben, es sei das »Gelobte Land«, und Andriy besucht ihn dort, als er heiratet. Und als sein Vater stirbt, bringt Andriy seinen Leichnam in den Irak, wo er nahe der syrischen Grenze beerdigt wird. 

Andriys Geschichte und Leben erzählen von Krieg und Flucht, von Heimatlosigkeit und Verlorenheit. Wer aber einen politischen Kommentar zu den Verhältnissen von diesem Film erwartet, etwa zu den kriegerischen Auseinandersetzungen im Donbass, wird ihn nicht bekommen. Man hört einmal aus der Ferne Schüsse, doch militärische Operationen bleiben ebenso außen vor wie Andriys genaue Biografie: Es gibt etwa kein Interview mit ihm, der in manchen Episoden des Films in den Hintergrund tritt oder selbst wie ein Beobachtender wirkt. Durchaus fragmentarisch erzählt Gorlova ihren Film, sie hat ihn bezeichnenderweise in mit Zahlen versehene Kapitel unterteilt, und manchmal schlägt der Film auch einen ganz anderen Weg ein, wenn er etwa einem alten Mann, der Hilfsgüter bekommen hat, zu seinen Tieren folgt.  

»This Rain Will Never Stop« will eher ein dokumentarischer Essay sein als die Dokumentation eines Flüchtlingsschicksals, ein Puzzle mit einer Kreisbewegung, die suggeriert, dass sich alles wiederholt, das Leid, die Freude, der Krieg. Nicht umsonst fangen die Kapitel des Films mit der Null an – und hören mit ihr auf. 

Das Zeitlose und Metaphorische dieses Films unterstreicht auch die großartige, nachgerade atemberaubende Schwarz-Weiß-Fotografie von Kameramann Vyacheslav Tsvetkov, der schon mit einer subtilen Kameraarbeit bei der ukrainischen Doku »The Earth Is Blue as an Orange« (2020), die ebenfalls im Donbass situiert war, auffiel. Auch wenn Schwarz-Weiß in Spielfilmen immer mehr Verwendung findet, sieht man es im modernen Dokumentarfilm eher selten, wahrscheinlich weil es nicht »authentisch« wirkt. In »This Rain Will Never Stop« ist es genau richtig. Zum einen zaubert es an manchen Stellen einen poetischen Ton in diesen Film, wenn immer wieder Sequenzen mit fließendem Wasser einmontiert sind – auch ein Symbol für den Lauf des Lebens – oder in der Exposition des Films die Kamera über nackte Berghänge fliegt, als würde sie einen fernen Planeten beobachten. Und wenn Tsvetkov mit langer Brennweite Soldaten filmt, die in Kampfanzügen in Formation marschieren, dann bekommt das eine archaische Wucht. 

Alina Gorlovas Film entstand vor mehr als zwei Jahren; er hatte seine Premiere beim Internationalen Dokumentarfilmfest in Amsterdam. Durch Putins Krieg gegen die Ukraine hat dieser Dokumentarfilm aber nichts an Aktualität eingebüßt. Zwei Millionen Menschen haben die Ukraine bis Mitte März verlassen – zwei Millionen ähnliche Schicksale wie das von Andriy.

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