Interview: Kenneth Branagh über »Belfast«
© Rob Youngson / Focus Features
Sir Kenneth, in »Belfast« erzählen Sie von Ihrer eigenen Kindheit vor über 50 Jahren. Haben Sie diesen Stoff schon lange mit sich herumgetragen?
Ja, denn die Erfahrung, diesen Ort zu verlassen, war eine einschneidende. Ich war acht Jahre alt, als die Geschichte begann, fast zehn, als wir weggingen. Nicht alles, was Sie sehen, hat sich genauso zugetragen, es ist gebrochen durch den Zeitraum von 50 Jahren und den Blick eines Neunjährigen auf die Welt, den idealisierten Blick auf seine Eltern, die Kinoerlebnisse. Der große Bruch kam, als die nachbarliche Gemeinschaft sich verwandelte in einen Ort der Gewalt. Dem Jungen wird wortwörtlich der Boden unter den Füßen weggezogen, als die Pflastersteine vor der Tür sich in Wurfgeschosse verwandeln.
Vor denen sich Buddy schützt, indem er sich einen Mülleimerdeckel schnappt und ihn als Schild verwendet.
Wir haben immer das benutzt, was wir gerade zur Hand hatten. Wir Kinder gingen ins Kino, stahlen die Farbe aus den Filmen und schauten dann, was in unserer eigenen grauen Welt dazu passte, wie wir uns etwa Robert Wagner als »Ivanhoe« anverwandeln konnten. Für den Film haben wir fortwährend versucht, Bilder zu finden, wie der Junge sie sah, die Kamera ist oft in leichter Untersicht. Wenn er Weihnachten seine Geschenke bekommen hat und sich mit Essen vollgestopft hat, schläft er erschöpft im Vordergrund des Bildes ein, während im Hintergrund seine Eltern miteinander reden. Als Jamie Dornan, der den Vater spielt, fragte: »wann drehen wir die Großaufnahmen?«, antwortete ich: »Es gibt keine!«. Mit der Tiefe des Raumes war das meine Orson-Welles-Einstellung.
Buddy liebt das Kino, besonders Western. Eine Szene aus »12 Uhr mittags« (High Noon) verlängert sich später in die Wirklichkeit...
Der Western funktioniert als eine Art moralischer Code. Buddy entwickelt ein Verständnis dafür, dass im Western einsame Männer ihre Familie verlassen und hinausgehen, um das Böse zu bekämpfen. Lassen Sie mich eine kleine Geschichte erzählen, die mit »High Noon« zu tun hat: beim Dreh zu meinem Regiedebüt »Henry V.« fragte mich der Schauspieler Paul Scofield, ob er einen Freund mit zu den Dreharbeiten bringen könne. Der stellte sich heraus als Fred Zinnemann, unter dessen Regie er in »Ein Mann für alle Jahreszeiten« gespielt hatte, dem Film, der 1968 mit sechs Oscars ausgezeichnet wurde, darunter einen für Scofield und einen für Zinnemann. Zu Zinnemann habe ich immer aufgesehen, als 27jähriger konnte ich damals in seiner Gegenwart kaum ein Wort herausbringen.
Kino- und Theaterbesuche sind die einzigen Momente, wo der Film farbig wird. Ich war ein wenig erstaunt, dass das nicht auch bei der Comic-Lektüre von Buddy der Fall ist, zumal der Comic, den er liest, ja eine besondere Bedeutung für Sie hat.
Da haben Sie Ihren Finger auf die Wunde gelegt – jene Entscheidungen, die man im Nachhinein bedauert. Als ich mit Francis Ford Coppola gearbeitet habe, sagte der, man würde einen Film nie beenden, sondern nur verlassen. Bestimmt einmal in der Woche während des Schnitts habe ich mich gefragt, sollte ich den »Thor«-Comic in Farbe machen? Denn die Comics waren für mich damals genauso wichtig wie Kino und Theater, was die Anregung meiner Imagination betrifft. Farbe funktionierte bei den Kino- und Theaterbesuchen nicht zuletzt wegen der Distanz zur Leinwand bzw. Bühne, da ging selbst die Reflexion in den Brillengläsern von Judi Dench. Aber ich hatte das Gefühl, beim Comic wäre das ein stilistischer Bruch gewesen, ich hätte die Zuschauer zu sehr mit der Nase darauf gestoßen, dass dieser Junge fünfzig Jahre später nicht mehr vor einem Wettbüro saß und auf seinen Vater wartete, sondern in einem Studio in Hollywood für Kevin Feige diesen Film inszenierte. Ihre Frage ist höchst berechtigt, ich war sehr versucht, das zu tun – und vielleicht hätte ich das auch machen sollen.
Wie schwierig war es, den Darsteller des Buddy, Jude Hill, zu finden?
Wir wussten, wenn wir ihn nicht finden würden, konnten wir diesen Film nicht drehen. In Belfast wurde jahrelang »Game of Thrones« gedreht, deswegen gibt es eine gute Infrastruktur, ähnlich, wie sie sich in Neuseeland durch »Herr der Ringe« entwickelt hat. Ich konnte entsprechend schnell 300 Jungs zusammenbekommen. Jude erwies sich als irischer Tänzer, war von daher sehr diszipliniert, zudem liebt er Fußball, er hatte also andere Interessen außerhalb des Kinos – das war ein bezeichnender Kontrast zu jungen Darstellern, die mich im Verlauf der Castings fragten, wie groß denn ihr Trailer sein würde. Die einzige Regieanweisung, die ich ihm in den ersten Tagen gab, war »Schau nicht in die Kamera.« Er hat dann wie ein Schwamm vieles aufgesogen von den erwachsenen Schauspielern. Judi Dench hat eine enge Beziehung zu ihrem Neffen, das kam der Beziehung zu ihrem Film-Enkel zugute. So war es einfacher, eine Atmosphäre zu schaffen, in der der zehnjährge Jude Hill mit der 85jährigen Judi Dench auf einer Ebene ist.
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