Netflix: »His House«
»Das ist nun ihr Zuhause«, sagt der freundliche junge Mann von der Flüchtlingshilfe zu Bol und Rial Majur, und weiters, dass sie sich glücklich schätzen könnten, denn nicht einmal er hätte ein so großes Haus. Sie müssten nur noch ein bisschen putzen und lüften und die Eingangstür wieder anschrauben, die beim Öffnen aus den Angeln ging. Weder Bol noch Rial können es so recht fassen, das Glück, endlich angekommen zu sein und in Sicherheit. Und sei es auch »nur« in einer offensichtlich billig hochgezogenen und bereits wieder dem Verfall preisgegebenen Reihenhaussiedlung in einem Problembezirk am Rande von London. Der vermüllte Vorplatz, die schimmlig-versifften Hinterlassenschaften der Vorbewohner können das Ehepaar nicht schrecken. Liegt doch der schlimmste Schrecken, der der Flucht, bereits hinter ihnen. So glauben sie zumindest.
Remi Weekes fackelt nicht lange in seinem Debütspielfilm »His House«. Er beginnt mit einer Alptraumsequenz, die die Flucht in einem Boot übers Meer zeigt und dessen von panischem Geschrei begleitete Havarie, im Zuge derer ein Mädchen verloren geht. Keine zehn Minuten später hört Bol in dem Haus, das seines werden soll, ein leises Summen wie von einem Kinderlied; bald hört es auch Rial.
Da stellt sich doch geradezu reflexhaft der Gedanke an das verdienstvolle Subgenre Haunted-House-Horror ein, und schon glaubt die geübte Zuseherin Bescheid zu wissen: Die ignoranten Verwaltungsheinis haben die wehrlosen schwarzen Leute in ein Spukhaus gesetzt, weil nicht mal mehr die weißen Vollprolls dort wohnen wollen. Jetzt müssen die Ärmsten sich mit irgendeinem alten Fluch herumschlagen und anderer Leute Untat büßen. Abgesehen davon, dass an der Sache mit dem Fluch was dran ist, ist es jedoch deutlich komplizierter. Das wird klar, als Bol, mitten in der Nacht von unerklärlichen Geräuschen hochgeschreckt, an einem Kabel zu ziehen beginnt, das aus der Wand ragt; aus dem Kabel wird ein Tau, an dem Tau hängen Algen, immer mehr Algen und schließlich eine Kinderpuppe – die von Gespensterhänden zurückgerissen wird.
Bol reagiert mit Entsetzen auf die verstörenden Phänomene, die ihn aus seiner neuen Wirklichkeit reißen, die er bedingungsloser Anpassung gewidmet hat. Er hat jetzt keinen Platz mehr für die in seiner Heimat wurzelnde Spiritualität. Vielleicht ist es ja die Entwurzelung, die Bol so durcheinanderbringt? Bols Frau Rial hingegen bleibt gefasster: als sie die Tür zu einer Rumpelkammer öffnet und in die verängstigten Gesichter ihrer Leidensgenoss:innen blickt, mit denen sie damals auf dem Laster aus dem Südsudan floh. Da fließt eine große Trauer in ihre Augen, und sie schließt leise, ja sanft die Tür. So, als wolle sie die Geister nicht erschrecken; zugleich drückt sich in der Ruhe ihrer Geste das Bewusstsein aus, dass man der eigenen Geschichte nicht entrinnt.
Ist es nicht makaber, die Erfahrung von Vertreibung und Flucht, die unsere Gegenwart prägt, zur motivierenden Kraft eines Horrorfilms zu machen? Ist es nicht zynisch, das tausendfache Sterben, das damit einhergeht, um des gruseligen Effekts willen einzusetzen? Die Beschwerde ließe sich führen, wäre Weekes ein weniger talentierter Regisseur und würden Sopé Dìrísù und Wunmi Mosaku – deren jeweilige Eltern aus Nigeria nach Großbritannien kamen – ihre Charaktere nicht mit solch zärtlicher und tiefgreifender Sorgfalt gestalten. Einigen Jahrmarktserschreckern zum Trotz hat Weekes Inszenierung nichts Auftrumpfendes an sich, sie bleibt mit Bol und Rial solidarisch und stellt weder ihre Perspektive noch ihren kulturell determinierten Interpretationsrahmen infrage. Vor allem aber bannt »His House« den Horror am Ende nicht mit wohlfeilen, rationalisierenden Erklärungen, sondern nimmt ihn als realitätsmächtige Kraft ernst. So dass der Film schließlich auch wirksam werden kann als empathische Gestaltung jener realen, tagtäglich sich ereignenden Tragödie, die das Weiterleben der Davongekommenen mit Schuld und Traumatisierung ist.
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