Kritik zu Dem Leben entgegen – Kindertransporte nach Schweden
Die Journalistin und Filmemacherin Gülseren Sengezer hat vier Überlebende interviewt, die dank der Kindertransporte nach Schweden dem Zugriff der Nazis entkommen konnten
Der Begriff hat es in die englische Sprache geschafft, der Tatbestand selber ist in Deutschland aber vergleichsweise wenig bekannt: Die Kindertransporte, mit denen humanitäre Organisationen versuchten, Ende der dreißiger Jahre jüdische Kinder in Deutschland und Österreich vor dem Zugriff der Nazis zu retten. 10 000 von ihnen fanden in Großbritannein ein neues Zuhause, Schweden dagegen beschränkte die Anzahl auf 500 und hielt von vornherein fest, dass sie keine finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite bekommen würden. Das bedeutete für die Kinder, die oft nicht verstanden, warum sie von ihren Eltern getrennt wurden, auch, dass sie mit den daraus resultierenden Traumata alleine blieben. Ihre Angehörigen haben die meisten von ihnen nie wieder gesehen.
Vier Menschen berichten in diesem Film von ihren Erfahrungen: Hans Wiener war 14 Jahre alt, als er im April 1939 seine Reise antrat, Herta Lichtenstein, die zum selben Zeitpunkt aus Österreich herauskam, war dagegen erst vier, die siebenjährige Gertrud Fletzberger kam im Februar 1939 nach Schweden, die dreizehnjährige Elise Reifeisen-Hallin erst im Dezember 1939. In elf Kapitel eingeteilt, kommen die vier zu Wort, die Interviews sind mit starrer Kamera und ohne Schnitte gefilmt, das Gesicht des Sprechenden im Vordergrund, der Hintergrund unscharf. Einige zeitgenössische Fotos sind zu sehen, knappe Bewegtbilder und immer wieder Faksimiles von Briefen der zurückgebliebenen Eltern, die aus dem Off vorgelesen werden. Kurze Schwarzfilmmomente sorgen ebenso für Zäsuren wie Aufnahmen verschneiter Landschaften. Nichts lenkt von den Aussagen der Vier ab, die diese in ruhigem Tonfall vortragen. Das ist ein angenehmer Kontrast zur Hektik so vieler amerikanischer Dokumentarfilme.
Von den Vieren ist Gertrud Fletzberger die einzige, die ihre Eltern lebend wieder sah (sie ist auch die einzige, die Deutsch spricht). Die Mutter konnte mit einem Besuchervisum nach Schweden kommen und wollte von dort zu ihrem Mann, der es nach Frankreich geschafft hatte, weiterreisen, doch der Kriegsausbruch machte das unmöglich. Als die wiedervereinte Familie nach dem Krieg zurückkehrt nach Österreich, muss Gertrud feststellen: »Willkommen waren wir nicht. Überhaupt nicht.«
Der Film findet eine angemessene Balance zwischen gemeinsamen Erfahrungen und individuellen Geschichten, von dem Antisemitismus, der auch in Schweden weit verbreitet war, über negative Gefühle gegenüber den eigenen Eltern (von denen man sich allein gelassen fühlte) bis zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Judentum (niemand von ihnen kam aus einer strenggläubigen Familie). Als der ältere Bruder von Gertrud erfuhr, dass er Jude war, richtete sich seine Wut gegen die eigene Schwester, hatte er sich bislang doch für einen »stolzen Arier« gehalten, der in Wien am Tag nach dem »Anschluss« mit Genugtuung erzählt hatte, sie hätten in der Schule jetzt den Hitlergruß gemacht. Dem Film der deutsch-schwedischen Filmemacherin und Journalistin Gülseren Sengezer wünscht man weiteste Verbreitung.
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