Nachruf: Sidney Poitier
Sidney Poitier
Schauspieler, Regisseur, 20. 2. 1927 – 6. 1. 2022
Die Dreharbeiten seines ersten Films fielen seinem Leinwandpartner anfangs schwerer als dem jungen Debütanten. Nach jeder Szene entschuldigte sich Richard Widmark bei ihm für die Beleidigungen und die Verachtung, die er ihm in ihren gemeinsamen Szenen entgegenbringen musste. Nach ein paar Tagen hatte Sidney Poitier genug und beschwichtigte ihn: »Es ist doch nur eine Rolle!«
Privat war Widmark das genaue Gegenteil des blutigen Rassisten, den er in »Der Hass ist blind« (1950) verkörperte. Er war der Erste in Hollywood, der den jungen Schauspieler nach Hause zum Abendessen einlud. Bezeichnender ist die Anekdote freilich für Poitier: Er musste im Filmgeschäft stets besonnen in Vorleistung gehen und Toleranz beweisen. Mehrere Jahrzehnte lang verkörperte er das gute Gewissen des liberalen Hollywood. Für die Bürgerrechtsbewegung leistete er Schrittmacherdienste in Rollen, die Musterbeispiele der Integration waren und doch meist höflich Rücksicht nahmen auf die Werte eines konservativen Publikums. Er brillierte in Rollen, in denen er aufmerksam, wohlerzogen, hilfsbereit und findig war; bescheiden jedoch musste er nicht sein.
Poitier wurde 1927 in Miami geboren und wuchs in Nassau auf den Bahamas auf. Sein karibischer Akzent war zu Beginn seiner Karriere ein Handicap, als er sich nach dem Krieg beim »American Negro Theatre« in New York bewarb. Für amerikanische Ohren war er unverständlich. Rasch verlieh er seiner Diktion urbanen Schliff und wurde engagiert. Melodiös blieb seine Stimme dennoch. Sein Leinwanddebüt in »Der Hass ist blind« von Joseph L. Mankiewicz funktioniert noch heute als ein Lehrstück, wie sich soziale Konflikte mit Vernunft und Intelligenz lösen lassen. Wie eine Blaupause sollte der Film Poitiers weitere Karriere vorzeichnen. Fortan verkörperte er Autoritätsfiguren mit klarem Blick für die gesellschaftlichen Realitäten: Ärzte, Lehrer, Polizisten und Psychologen, die sich ihren sozialen Status hart erarbeitet hatten und stets höher qualifiziert waren als ihre weißen Konkurrenten. Anstand und Noblesse trug er wie eine zweite Haut. Erst Richard Brooks vertraute ihm ambivalentere Rollen an: als läuterungsfähiger Anführer einer Jugendgang in »Saat der Gewalt« (1955) und als Rädelsführer des Mau-Mau-Aufstandes in »Flammen über Afrika« (1957). In Raoul Walshs Südstaaten–Melo »Weint um die Verdammten« (1957) spielte er den stolzen Lieblingssklaven Clark Gables, der in die Unterwürfigkeit ein solch laszives, provozierendes Zögern legt, als läge jede Entscheidung allein bei ihm.
Für seine Aura der Souveränität war entscheidend, dass er jeder Geste eine gleichsam doppelte Selbstverständlichkeit verlieh. Sein Spiel war verhalten, unterstrich die Selbstbeherrschung seiner Figuren. Sie konnten selbstbewusst für sich einstehen, eine erotische Herausforderung für die weiße Gesellschaft durften sie nie sein. Es mutet heute haarsträubend an, wie nachdrücklich die Drehbücher die erotische Ausstrahlung dieses wahrhaft schönen Mannes dementieren. Als Maurenfürst gebietet er in »Raubzug der Wikinger« (1964) zwar über einen ansehnlichen Harem, hat aber ein Keuschheitsgelübde abgelegt. In »Rat mal, wer zum Essen kommt« (1967) beruhigt es die Eltern seiner Verlobten ungemein, dass für ihn Sex vor der Ehe nicht infrage kommt. Erst in der Komödie Liebling (die er selbst produziert und mitgeschrieben hat) durfte seine Figur 1968 ein regeres Sexleben führen.
Da stand er auf der Höhe seines Ruhms, hatte seinen epochalen Oscar gewonnen für »Lilien auf dem Felde« und war durch den Hattrick »In der Hitze der Nacht«, »Rat mal, wer zum Essen kommt« und »Junge Dornen« zum Kassenmagneten Nr. 1 in den USA geworden. Er konnte Millionengagen fordern und wusste, seine Macht in Hollywood zu nutzen. Mit Steve McQueen, Paul Newman und Barbra Streisand gründete er die Produktionsfirma »First Artists«. Als mit dem Aufkommen des Blaxploitation-Kinos nun aggressivere schwarze Helden gefragt waren, verlegte er sich mit beachtlichem Erfolg, aber ohne nennenswertes Temperament auf die Regie. 1988 gelang ihm mit dem Thriller Mörderischer Vorsprung ein spektakuläres, gleichwohl monothematisches Comeback: Auf der Leinwand war er fast ausnahmslos auf den Part des hochrangigen, integren FBI-Agenten festgelegt. Im Fernsehen hatte er prestigeträchtigere Rollen (Nelson Mandela, Thurgood Marshall, der erste afroamerikanische Richter am obersten Bundesgericht). Aber das Zusammenspiel von historischen game changers und federführenden Ermittlern bestätigte immerhin, welch enorme und natürliche Autorität dieser Schauspieler ausstrahlte.
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