Kritik zu Sofia’s Last Ambulance
Ein Fahrer, eine Schwester und ein Arzt: Der bulgarische Regisseur Ilian Metev liefert kunstvoll verdichtete Beobachtungen aus einem Notarztwagen in Sofia
Die lange Kamerafahrt am Anfang durch ein Labyrinth von Höfen und Lagerhallen könnte von Michael Ballhaus stammen. Doch es ist eine an der Frontscheibe eines Notarztwagens fest installierte Kamera, die hier den Weg zum nächsten Einsatzort dokumentiert. Nach Ankunft und Aussteigen der Sanitäter folgt ein Gegenschuss zu einer Großaufnahme des wartenden Fahrers, während man im Off Gespräche über das Opfer einer vermuteten Hirnblutung hört. Den Patienten sieht man nicht.
Schöne Menschen, Hektik und Hightech prägen das mediale Bild vom Gesundheitswesen. Doch es gibt auch Dokumentarfilme wie Fred Wisemans Hospital oder Constantin Wulffs In die Welt, die sich in Direct-Cinema- Tradition an realistischer Darstellung versuchen. Ähnlich direkt, doch mit bisher ungewöhnlichen (und wohl neuer Kameratechnik geschuldeten) Mitteln betreibt der bulgarische Regisseur Ilian Metev die Annäherung an die Rettungsarbeit in der Hauptstadt seiner Heimat. Er begleitet die dreiköpfige Besatzung eines Notarztwagens – Arzt, Schwester und Fahrer – beim Einsatz und hat dazu feste Kameras an der Frontscheibe und im Fond installiert. So ist der Zuschauer ganz nah dabei, wenn Fahrer Plamen den Wagen durch Staus und Schlaglöcher lenkt und die energische Schwester Mila im Fonds jammernde Patienten versorgt.
Dazwischen lange Wartezeiten, die einer überlasteten Funkzentrale geschuldet sind und an den Nerven zehren. Man redet über Ehekrisen und Patienten, abwandernde Kollegen und das erodierende Gesundheitssystem, das für die Millionenstadt Sofia nur dreizehn Rettungswagen ließ. Dementsprechend überarbeitet ist das Trio, das neben der mangelhaften Kommunikation, irreführenden Adressangaben und überfüllten Krankenhäusern auch mit mürrischen und betrunkenen Patienten zu kämpfen hat. Besonders dem kettenrauchenden Doktor, der eigentlich gut den grau melierten Beau geben könnte, ist die Übermüdung tief ins Gesicht geschrieben. Man rettet sich ins persönliche Pflichtgefühl und in trotzigen Humor, hält auch mal an, um am Straßenrand Birnen zu pflücken. Ins Privatleben geht der Film nicht, überhaupt verlässt die Kamera den Wagen nur bei den wenigen Einsätzen. Dabei entwickelt der von Metev selbst fotografierte und mehrfach preisgekrönte Film aus seinen begrenzten filmischen Mitteln eine eindrückliche ästhetische Kraft und erinnert nicht nur darin an Cristi Puius Spielfilm Der Tod des Herrn Lazarescu, der 2005 schwarzhumorig von der Reise durch diverse Bukarester Spitäler erzählte. Wie Puius Film ist auch Sofia’s Last Ambulance neben einer tragikomischen Heldengeschichte aus einer niedergehenden postsozialistischen Gesellschaft eindringliche Betrachtung existenzieller Fragen zwischen Todesnähe und Lebensmut. Doch irgendwann beginnt auch der zu schwinden: »Ich habe nicht mal mehr Lust zu rauchen«, sagt Mila am Ende. Patienten und ärztliches Handeln direkt sind übrigens nie zu sehen. So können den Film – selten bei diesem Thema – auch diejenigen ansehen, die den Anblick von Blut und Spritzen nicht ertragen. Harte Kost ist er trotzdem.
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