Kritik zu Zimmer 212 – In einer magischen Nacht

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Nach seinem bewegenden Aidsdrama »Sorry Angel« wechselt Christophe Honoré das Register: Nun legt er eine leichtfüßige, turbulente und wehmütige Ehekomödie vor, mit einem atemraubenden Soundtrack und voll gut aufgelegter Darsteller

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In flagranti erwischt zu werden und sogleich zum Gegenangriff überzugehen, gehört seit jeher zur hohen Kunst der Boulevardkomödie. Aber wenn der im Schrank versteckte Liebhaber eine Liebhaberin ist, kehrt schon einmal frischer Wind ein. Die Juraprofessorin Maria (Chiara Mastroianni) wird in den ersten Filmminuten gleich zwei Mal ertappt, erst von der eigentlichen Freundin ihres Studenten Astrubal und kurz darauf von ihrem ansonsten trägen Ehemann Richard (Benjamin Biolay). Alle drei kanzelt sie wortreich ab.

Ihre Offensive hat Verve. Mastroianni dürfte neben ihrer Mutter Catherine­ Deneuve die schnellste Sprecherin im französischen Kino sein. Richard hat zwar noch Elan genug, ihr Smartphone mit den verräterischen SMS in die Waschmaschine zu werfen. Aber er kann sich nicht freisprechen von der Anklage, er habe zugelassen, dass ihre Ehe nach 25 Jahren nur mehr vor sich hindämmert. Mit einem Mal wird es still zwischen den Streitenden; vielleicht ist es ihr letzter, intimer Moment der Gemeinsamkeit.

Richard bemerkt nicht, wie Maria den Koffer packt und ins Hotel gegenüber flüchtet. Von dort blickt sie nun als Voyeurin auf das Leben, das sie verlassen hat. Lohnt es sich, ihrer Ehe noch eine Chance zu geben? Oder stimmt es, dass die Liebe immer nur das Früher meint? Guter Rat kommt über Nacht, wie ein französisches Sprichwort sagt. Aber Ruhe findet Maria nicht, denn im Hotel wirken Zauberkräfte. Die Türen öffnen sich in vergangene Zeiten. Was ihr durch den Kopf schwirrt, nimmt plötzlich Gestalt an.

Zuerst taucht ein Richard auf, der in dem Alter ist, in dem sie sich kennenlernten (Vincent Lacoste); sodann dessen Klavierlehrerin Irène (Camille Cottin), in die er verliebt war; Marias Wille meldet sich als Aznavour-Imitator zu Wort; kurz mischen sich ihre Mutter und Großmutter in die Geschichte ein; schließlich belagert die gesamte Kohorte ihrer verliebten Studenten das Zimmer. Auch Richard bleibt auf der anderen Straßenseite nicht verschont von diesem Spuk: Unversehens wird er mit einem alternativen Leben an der Seite von Irène konfrontiert.

Honoré dekliniert die Konventionen des gehobenen Boulevards munter durch und scheut gelegentliche Abstürze ins Alberne nicht. Die Bühnenkünstlichkeit der Szenerie überführt er in eine genuin filmische Irrealität, mit Hilfe von Rémy Chevrins geistesgegenwärtiger Kamera und der verspielten Asynchronität von Bild und Ton. Sein Drehbuch inszeniert er als eine Partitur voller Tempowechsel und unterschiedlicher Klangfarben. So trotzt er den Turbulenzen immer wieder Augenblicke der Nachdenklichkeit ab, wehmütige Reflexionen über das Zusammenleben als Beruf, der ständig neu erlernt werden muss. »Unsere Sexualität«, erkennt Richard, »gesellte sich zu den Dingen, die wir voreinander verheimlichten.« Die Entzauberung ist gründlich und heilsam. Am nächsten Morgen begegnet sich das Paar wieder, im Licht der Straßenwirklichkeit. Aber gelten die alten Regeln der comedy of remarriage noch? Vielleicht wusste die Nacht wirklich Rat.

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