Interventionen
Gestern war einer jener Tage, an denen der Zufall Kombinationsgabe beweist. Allzu oft stehen sie nicht im Kalender. Aber am Dienstag trafen zwei, drei Dinge zusammen, die mir zeigten, wie uns Bewegtbilder helfen können, die Welt ein wenig besser zu verstehen.
In der U-Bahn las ich einen Essay von Yanis Varoufakis, dem ehemaligen und sehr kurzzeitigen Finanzminister Griechenlands. Die Überschrift hätte mich abschrecken können - „Star Trek gegen Imperialismus“ -, tat es aber nicht. Man will sich ja einen Reim machen auf das, was gerade in Afghanistan passiert. Auf dieses Thema läuft der Text natürlich hinaus (sein Erscheinungsdatum war der letzte Tag, an dem die Taliban Evakuierungsflüge aus Kabul erlaubten), aber das lässt er sich anfangs nicht anmerken. Varoufakis besticht mit einer intimen Kenntnis der ersten Staffeln von „Raumschiff Enterprise“ und stellt die Ausstrahlungstermine einzelner Episoden in einen engen, bezeichnenden Zusammenhang mit damaligen US-Militäroperationen in Vietnam. Ihn beschäftigt vor allem die „Oberste Direktive“ der planetaren Föderation, die jede absichtliche Einflussnahme auf fremde Territorien und Kulturen verbietet. Akribisch zeichnet er an drei Folgen nach, vor welche Dilemmata die Regel Captain Kirks Mannschaft jeweils stellt. Auch in den Spin-offs der Serie verfolgt er die Probleme, die aus der unverminderten Gültigkeit der Direktive entstehen. Wie er sich so dem Für und Wider militärischer Auslandseinsätze nähert, ist faszinierend. Ich las den Text im „Tagesspiegel“, im Netz ist er auch anderswo in deutscher Übersetzung zu finden.
Kurz darauf erreichte mich der Anruf eines Kollegen, der ein Spezialist für Science Fiction ist. Er konnte mir bestätigen, dass Varoufakis sich schon seit geraumer Zeit als gewiefter Trekkie profiliert. Der Zufall spielte weiter mit. Für den Feierabend hatte ich mir vorgenommen, im Fernsehen „Das Kartell“ zu schauen. Ich habe ihn zwar im Original, aber Fernsehkonsum erscheint mir nach einem anstrengenden Arbeitstag (meinem gestrigen Eintrag werden Sie anmerken, dass er nicht leicht von der Hand ging) als eine entlastende unprofessionelle Entspannung. Harrison Ford hat da seinen zweiten und leider letzten Einsatz als CIA-Analyst Jack Ryan. Diesmal muss er einem kolumbianischen Drogenkartell sowie dem sträflich ahnungslosen, tatsächlich korrupten US-Präsidenten das Handwerk legen.
„Das Kartell“ verhandelt ähnliche Fragestellungen, wie sie Varoufakis umtreiben. Ideologisch dürfte er ganz und gar nicht auf seiner Linie liegen. Die Vorlage stammt von dem notorischen Falken Tom Clancy; am Drehbuch hat der selbsternannte Zen-Anarchist John Milius mitgearbeitet, den ich als Filmemacher sehr schätze. „Der Wind und der Löwe“ ist in meinen Augen der herausragende Abenteuerfilm der 1970er Jahre und zudem der beste Film über amerikanische Kanonenbootpolitik, die hier gleichermaßen wahnwitzig wie glorreich erscheint. Das muss nicht Wunder nehmen bei dem Mann, der "Apocalypse Now" schrieb. Sagen wir es mal so: Um Milius zu mögen, muss man eine gewisse Bereitschaft besitzen, Ambivalenzen auszuhalten.
Als ich noch für die „taz“ schrieb, hegte ich lange Zeit den Ehrgeiz, eine Eloge auf ihn zu schreiben. Der enttäuschende Verlauf seiner weiteren Regiekarriere und die ehrbar linke Gesinnung des Blattes verhinderten das. Als „Das Kartell“ 1994 herauskam, unternahm ich einen letzten Versuch. Meine Redakteurin schmetterte ihn resolut ab. Du wirst doch keinen Film verteidigen, hielt sie mir vor, der Massaker an Zivilisten entschuldigt? Mein Einwand, dass ein Drogenboss unwidersprochen die USA bezichtigt, in Kolumbien einen illegalen Krieg zu führen, überzeugte sie nicht. Sie sehen, schon damals konnte es leicht passieren, dass man auf der falschen Seite steht.
Meine Argumentation war ohnehin weniger politisch als kinetisch. Selbstverständlich ist der Film auftrumpfend martialisch (der Originaltitel „Clear and Present Danger“ legitimiert gewaltsame US-Interventionen) und GIs, die als Aggressoren kommen, dürfen sich als unschuldige Opfer fühlen. Aber es gibt erhabene Brechungen. Was mich faszinierte und nach wie vor fasziniert, ist die Kluft zwischen Theorie und Praxis, die sich hier auftut. (Ich sehe gerade, dass ich über das Phänomen der mulmigen Entrückung im Vorgänger „Die Stunde der Patrioten“ bereits im Eintrag „Schrecken des Unmittelbaren“ vom 3.4. 2017 schrieb.) „Das Kartell“ hatte mich in der Tasche mit der Sequenz, in welcher der Konvoi der Anzugträger aus Langley in Kolumbien in einen Hinterhalt gerät. Da bekommen die Analysten plötzlich hautnah zu spüren, welche Auswirkungen Politik hat. Männer der Tat sind sie nicht, Ford muss das erst wieder werden. Das hat mir immer gefallen an seinen Action-Rollen: dass er ein unverhoffter Held ist, den die stets Gefahr überrascht; dass er zuerst überfordert wirkt und dann seinem Instinkt vertrauen muss. In seinem Körperspiel liegt nie wirkliche Selbstgewissheit, es ist ausweichend und gehetzt. In Clancy späteren Romanen wird er US-Präsident.
Endgültig packte mich der Film damals in dem entwaffnend unkomplizierten Moment, als Ford bei dem Kartell-Boss anklopft und ihn die Leibwächter tatsächlich hereinlassen. Ich finde ihn immer noch großartig. „Ich würde gern Senor Escobedo treffen“, sagt er, zeigt seine CIA-Visitenkarte und fügt höflich hinzu: „Ich habe keine Verabredung.“. Für einen Augenblick scheint eine diplomatische Lösung möglich, oder zumindest ein Handel. Es zahlt sich auch aus, dass die Schurkenrollen mit enorm einnehmenden Schauspielern besetzt sind (Miguel Sandoval und Joaquim de Almeida), sie haben Gusto und Witz. Wenn man ihnen zuschaut, stellt sich das ein, was ich das „Paten“-Syndrom nennen möchte. Der Film betont ohnehin ständig die Verwandtschaft der Kontrahenten (ein typisches Milius-Element), etwa in den eleganten Parallelmontagen, wo man sie jeweils in Langley und Kolumbien vor ihren Computern sieht. Das war gestern Abend ohnehin eine interessante Zeitreise: ein noch eminent analoger Film, der schon ziemlich digital ist. Die gestische Selbstverständlichkeit, mit der 1994 bereits mit Handys umgegangen wird, ist erstaunlich.
Was ich nun jedoch ebenso deutlich spürte, waren die gegensätzlichen Impulse im Drehbuch, die ideologischen und temperamentlichen Widersprüche, die in ihm stecken. Auf dem Festival von Deauville, wo ich den Film erstmals sah, sprach ich kurz mit einem der Autoren, Steven Zaillan. Ich hatte ihn im Vorjahr interviewt und passte ihn in der Hotellobby ab, um ihm meinen Artikel zu geben. Der Szenarist von „Der Falke und der Schneemann“, „Schindlers Liste“ und „The Irishman“ hat eine sichtlich andere Agenda als Milius. Ich fragte ihn, wie die gemeinsame Arbeit verlaufen war, ob sie sich verstanden hätten oder in Konflikt geraten seien. „Es war sehr interessant“, antwortete er lächelnd.
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