Kritik zu Stillwater – Gegen jeden Verdacht
Inspiriert vom Fall der Amanda Knox und doch ganz anders. Der neue Film von Tom McCarthy (»Spotlight«) lässt sich nicht auf ein Genre festlegen und zieht seine Spannung aus komplexen Charakteren
Manche Filme ziehen ihre Spannung daraus, dass sie genau nicht die Erwartungen der Zuschauer erfüllen. Sich etwa an einem wahren Ereignis orientieren und dann doch eine ganz andere Geschichte erzählen. Tom McCarthys »Stillwater« könnte ein Actionthriller sein oder ein Justizdrama. Ganz klar haben sich Regisseur und seine Ko-Drehbuchautoren Thomas Bidegain und Noé Debré von dem Fall der Amanda Knox inspirieren lassen, jener amerikanischen Studentin, die in Italien des Mordes an ihrer britischen Mitbewohnerin angeklagt wurde und zwei Jahre als Verurteilte in Haft saß, bis das Urteil doch noch revidiert wurde. Mit Matt Damon haben sie einen Hauptdarsteller, den die meisten wohl mit dem wendigen Agenten Jason Bourne in Verbindung bringen. Subtil spielt der Regisseur des oscarausgezeichneten »Spotlight« mit diesen Elementen und konzentriert sich dann auf etwas ganz anderes: auf die Charakterstudie eines entwurzelten Mannes, der um die Freiheit seiner Tochter kämpft, nicht weil er bedingungslos an ihre Unschuld glaubt, sondern um seine Versäumnisse der Vergangenheit wettzumachen.
Bill (Damon) reist aus dem ländlichen Oklahoma nach Marseille, wo seine Tochter Allison (Abigail Breslin) bereits fünf Jahre ihrer neunjährigen Haftstrafe abgesessen hat und weiterhin ihre Unschuld beteuert. Für ihre französischen Anwälte ist der Fall abgeschlossen, doch Allison gibt ihrem
Vater wichtige Hinweise, so dass er sich auf eigene Faust auf die Suche nach dem vermeintlichen Mörder von Allisons Freundin macht.
Bill, das ist ein wortkarger, gläubiger Redneck, überzeugter Waffenbesitzer. Mit seinem Kinnbart, den karierten Hemden, den unförmigen Jeans samt Basecap ist er ein fleischgewordenes Klischee, seine Französischkenntnisse sind rudimentär. Da macht er die Bekanntschaft mit der zauberhaften Schauspielerin Virginie (hinreißend: Camille Cottin) und deren Tochter Maya (Lilou Siavaud), zu denen er eine innige Beziehung aufbaut. Zu Maya entwickelt er eine Nähe, die er zu seiner eigenen Tochter nicht hat, wohl zu keinem Menschen. Wie ferngesteuert agiert dieser von Trauer, Scham und Schmerz gezeichnete Mann. Allein mit seiner Körpersprache füllt Damon diese Figur voller Verletzlichkeit und unnachgiebiger Härte. Und die Kamera geht schmerzhaft dicht dran an dieses versteinerte Gesicht. Warum seine Frau sich umgebracht hat? Warum das Verhältnis zu seiner Tochter derart zerrüttet ist? McCarthy deutet es nur an. Und Allison? Auch sie bleibt seltsam diffus.
McCarthy spielt mit Stereotypen und Gegenpolen, die Anziehung zwischen dem grobschlächtigen stillen Bill und der unkonventionellen, attraktiven Virginie ist nicht ganz nachvollziehbar, die Action- und Thrillerelemente sind nicht immer überzeugend, viele Szenen sind urkomisch, andere verstörend brutal. Er legt sich nicht auf ein Genre fest, nicht auf eine klare Antwort auf die Frage nach Schuld und Unschuld, und doch ist die Antwort am Ende die zentrale. Es geht darum, seinen Frieden zu finden. Und sei dieser noch so schmerzhaft.
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