Interview: Daniel Brühl über sein Regiedebüt »Nebenan«
Daniel Brühl am Set von »Nebenan« (2021). © Amusement Park Film GmbH / Warner Bros. Ent. GmbH / Reiner Bajo
Herr Brühl, entstand der Wechsel hinter die Kamera mit »Nebenan« aus dem Wunsch, eine Rolle zu verkörpern, die Ihnen als Darsteller bisher nicht angeboten wurde?
Nein, das war weniger der Fall. Ich bin nach wie vor ein Filmfan, ein Fan dieses Mediums, und fand es schade, aus so vielen Prozessen ausgeschlossen zu sein. Ich muss sagen, dass das beruflich bisher die beglückendste Erfahrung war. Es fühlte sich einfach toll an, an jedem Schritt beteiligt zu sein, von der Idee, die ich entwickelt habe, bis zu der Tatsache, dann von Daniel Kehlmann eingeladen zu sein, bei dem Schreibprozess dabei zu sein. Es freut mich auch, dass er gesagt hat, dass das eine Hilfe war, dass da nicht irgend so ein lästiger Typ daneben saß, der es sowieso alles besser kann. Es gab tatsächlich immer mal wieder kleine Sackgassen und Probleme, wo ich ihn dann mit Ideen gefüttert habe und er das dann für sich durchgefiltert und immer perfekt gewusst hat, wie man das umzusetzen hat und in welchen Momenten man was einsetzt. Aber auch die Arbeit mit dem Kameramann, Schnitt und Mischung waren lehrreich – Prozesse, bei denen ein Schauspieler normalerweise unerwünscht ist (jetzt weiß ich auch warum)
2015 haben Sie die Hauptrolle in »Ich und Kaminski« verkörpert, basierend auf einer Vorlage von Daniel Kehlmann. Sie kennen sich aber schon länger?
Ursprünglich kennengelernt hatten wir uns bei einer Kultursendung des ORF, wo ich und Wolfgang Becker »Good Bye, Lenin!« vorgestellt haben und ein junger Mann neben uns seinen Roman »Ich und Kaminski«. Bei dessen Verfilmung haben wir uns angefreundet und sind in Kontakt geblieben. Ich wusste immer, dass eine dunkle Komödie, ein Kammerspiel, das eine Reise ins Dunkle wird, etwas sein könnte, das ihn anfixt. So habe ich meinen Mut zusammengenommen und ihn angerufen, damit wir uns auf einen Kaffee treffen, wo ich ihm meine Idee unterbreitete. Daniel ist so begeisterungsfähig, er meinte nach ein paar Minuten, damit kann er etwas anfangen. Nach ein paar Wochen war tatsächlich schon die erste Fassung da, und die war bereits so gut, dass ich dachte, das ist ein Film, den ich gerne erzählen würde. Gleich war auch klar, dass es Peter Kurth sein sollte als Bruno – jemand aus dem Osten. Der hat mir nach 24 Stunden gleich einen Brief geschrieben und war ebenfalls begeistert.
Die Idee für den Film kam Ihnen in einer konkreten Situation?
Sie kam mir in Barcelona, in einem Tapas-Lokal. Ich war frisch nach Barcelona gezogen für ein Jahr, saß da, wahrscheinlich auch mit einem Rollköfferchen, war gerade aus Berlin eingeflogen, habe immer extra laut mit den Kellnern gesprochen, auf Katalanisch und Spanisch, über den FC Barcelona, um zu zeigen, ich bin von hier, ich gehöre dazu – und habe mir selber darin gefallen, wusste aber zugleich, von außen kann das sehr auf den Wecker gehen. Und dann saß auch wirklich so ein Typ da, so eine Kante, der hat die ganze Zeit zu mir herübergeguckt, ohne ein Wort zu sagen. Das hat mich eingeschüchtert und ich dachte: der mag mich ganz eindeutig nicht. Da ging es bei mir im Kopf los und dieser Typ ist zu einem Gerüstarbeiter geworden, vor meinem Haus, der monatelang vom Gerüst in meine Wohnung schaut und mich observiert und dann eines Tages im selben Lokal wieder wartet und dann beginnt dieses Duell, wie in einem Western.
War von Anfang an das Konzept da, dass sich die Geschichte immer weiter hochschraubt oder nur »Schauspieler trifft einen ganz gegensätzlichen Charakter in einer Kneipe«?
Ich wollte, dass es im Beruflichen anfängt, mit einer leichten Kritik, und sich dann immer mehr ins Private verlagert, dass jemand wirklich komplett auseinandergefaltet wird. Ich wollte dabei klarmachen, dass man sich in eine Überhöhung begibt, dass es eine Figur ist, die ich spiele und nicht wirklich ich das bin – also schon bewusst damit spielen, dass vieles sehr nah dran ist an meinem Leben, aber eben persönlich und nicht privat. Ich wollte auch gerne jemanden spielen, der sich in dem Beruf, in dem Ruhm, verloren hat, was heute oft der Fall ist, wenn Schauspieler sich bemühen, diese perfekte Fassade zu erhalten. Und was dann passiert, wenn jemand diese ganzen Geschichten wegreißt und im Endeffekt zwei gescheiterte Männer dort nebeneinander sitzen.
Der Film wirkt schon sehr Berlin-spezifisch…
Schnell wurde mir klar, in Barcelona bekomme ich dieses Projekt nicht gestemmt, auf Spanisch kann ich es noch viel weniger schreiben als auf Deutsch, ich vergaß es erst einmal. Als ich in Berlin im Prenzlauer Berg von einer Wohnung in eine andere gezogen bin, in der ich jetzt noch lebe, hatte ich diese Hinterhofsituation. Da kam mir die Idee: keine Gerüstsituation, sondern eine Geschichte unter Nachbarn. Ich habe ja auch Nachbarn aus dem Osten und weiß noch, wie ich anfangs beäugt wurde, »Oh Gott, jetzt zieht hier dieser Schauspielfuzzi aus Köln ein«. Jetzt werde ich – bilde ich mir ein – gemocht, ich habe oft das Gespräch gesucht, auch wegen des Films. Das Nebeneinanderleben von Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten, mit ganz verschiedenen Biografien, gibt es heute in Berlin noch, in New York und London wohl schon nicht mehr.
Ich habe mich gefragt, was meine Fantasie so beflügelt, dabei kam ich immer wieder auf die Gentrifizierung: die hat mich begleitet, seit ich aus Köln weggezogen bin. Ich war früh schon privilegiert, hatte einen beruflichen Erfolg, der es mir ermöglicht hat, mir ein Leben zu leisten, wie ich es mir gewünscht habe, was es mir erlaubte zur Miete in Berlin nach Prenzlauer Berg zu ziehen, in das Viertel, von dem damals jeder geredet hat, auch in Köln. Und dann konnte ich auch in Barcelona in das Viertel ziehen, was so ein bisschen das Äquivalent ist. Jedes Mal habe ich mich als invasiv gefühlt, nicht als Schuldiger an der Gentrifizierung, aber als Teil dieses Prozesses. In Berlin kam noch hinzu, dass ich als Wessi nach Ostberlin zog.
Mit Daniel Kehlmann haben Sie Sich während des Schreibprozesses weiterhin ausgetauscht?
Am Anfang waren die Figuren noch zu grob gezeichnet, ich war eher der sympathisch-unbedarfte Reaktive und mein Leben wurde dann zerstört von dem Mephisto/Wutbürger/AfDler. So konnte man das lesen. Das war das, was ich nicht wollte. Das wollte auch Kehlmann nicht, aber das war das Fundament und so musste man mit feiner Balance diese beiden Figuren zeichnen. Es war mir wichtig, keinen der beiden zu verraten, aber sich auch nicht auf eine Seite zu schlagen. Wenn ich diesen Film erzähle, mit einer Figur, die Daniel heißt und Schauspieler ist, soll der nicht das arme Opfer sein vom bösen Ost-Nachbarn. Einige haben sich daran gestört, wie eitel und gockelig ich da am Anfang bin. Das war aber meine Entscheidung, ich wollte bewusst ganz klar den Ton setzen, das ist ein unangenehmer Typ, das ist keine Version von mir, das ist eine Figur, auch wenn sie viel mit mir zu tun hat. Und bei Peters Figur war mir wichtig, dass es da eine menschliche Motivation gibt, diese Lebenstragödie – sich verraten und abgehängt zu fühlen. Das musste ich auch spüren und glauben. Denn da hatte ich mich am Anfang zu lange gefragt, warum gibt der sich so viel Mühe, warum ist der so wahnsinnig gemein. Brunos Beruf der Arbeit in einem Bankenhelpcenter hat Daniel Kehlmann hineingebracht, er kannte jemanden, der diese Arbeit gemacht hat. Früher zumindest war es so, dass sich jemand von denen den Spaß machen konnte, die Kontoauszüge eines Prominenten anzuschauen.
2015 sind Sie Partner des Produzenten Malte Grunert in der Produktionsfirma Amusement Park geworden. Was genau beinhaltet diese Partnerschaft, über welche anderen Projekte können Sie schon etwas sagen?
Diese Partnerschaft umfasst nicht nur diesen Film, sondern mehrere Projekte, an denen bin ich in verschiedenen Funktionen beteiligt bin – wir haben viele ambitionierte Pläne. Was auf jeden Fall spruchreif ist, ist »Im Westen nichts Neues«, da spiele ich eine Nebenrolle, bin aber auch Koproduzent, das habe ich von Anfang an verfolgt, Regie führt Edward Berger, das ist das nächste, was gerade abgedreht wurde, ohne größere Komplikationen.
Und dann wird es auch hoffentlich ein neues Projekt Brühl-Kehlmann geben. Es gibt zudem ein weiteres Projekt, an dem Daniel Kehlmann gerade schreibt, wo ich eine Rolle spielen, aber nicht Regie führen werde. Ich bin mehr oder weniger an allem beteiligt, wir sind endlich an dem Punkt, dass wir all die Sachen umsetzen können, die wir uns immer vorgestellt haben. Das hängt auch mit guten Partnerschaften zusammen, vor allem mit dem Verleih und Koproduzenten Warner Bros., die mir diese Möglichkeit gegeben haben.
Inwiefern hatte die Pandemie Auswirkungen auf die Arbeit an »Nebenan«?
Das war turbulent, denn in der Probenwoche ging die Pandemie los und dann sah es ein paar Tage lang so aus, als würde mir das ganze Projekt weg brechen – bei einem Projekt, in das ich zwei Jahre meines Lebens investiert hatte, in denen ich immer wieder mit Daniel Kehlmann zusammen gesessen hatte, in der dieses tolle Buch entstanden ist, in denen ich mit großer Vorfreude daran gehen wollte, in denen Peter Kurth mit großer Freude zugesagt hatte. Damals wussten wir noch viel weniger, die Unsicherheiten waren entsprechend groß. Zum Glück habe ich mir einen pandemiefreundlichen Film ausgedacht – das hat sich dann als ganz praktisch erwiesen, dass wir nur vier Schauspieler waren, in einem geschützten Raum, einer im Studio gebauten Kneipe. Dann ist es den Produktionspartnern, also Malte Grunert, Warner und den Förderern, zu verdanken, dass sie mir die Stange gehalten haben. Am 16.6., meinem Geburtstag, war im letzten Jahr der letzte Drehtag, morgen ist am 16.6. Premiere – als abergläubischer Mensch nehme ich das jetzt mal als gutes Omen. Als Anfang Juni letzten Jahres die Zahlen wieder so weit unten waren, konnten wir die notwendigen Außenszenen ohne Masken drehen, das war die Phase, wo man dachte, die Pandemie sei überwunden und der Spuk vorbei, was sich dann ja leider als Irrglaube erwiesen hat. Jetzt hatten wir eine wunderschöne Premiere auf der Sommerberlinale und ich freue mich, dass der Film am 15. Juli in die Kinos kommt.
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