Kritik zu Gegenwart
Thomas Heises neuer Dokumentarfilm handelt von einer Feuerbestattungsfabrik. Eine sensible Krematoriumserkundung
Es sieht fast so aus, als überlegte der Backstein, wie er in einen Ofen eingemauert wird: Er wird kurz probierend gewackelt. Eine scheinbar banale, in Wahrheit beredte Szene aus Thomas Heises Dokumentarfilm Gegenwart. Ein Maurer steht im Ofen eines Krematoriums, der Platz ist beengt, die Kamera hat nicht viel Spielraum, so dass man von dem Maurer eben nur die Hände sieht, die einen Backstein halten. Und deshalb zeigt sich das Überlegen des Maurers im scheinbaren Überlegen des Backsteins, der innehält und sich auszumalen versucht, wie er nun richtig verfugt werden muss.
Gegenwart ist ein Film über ein Krematorium, nur 65 Minuten lang und vor allem Beobachtung. Und daher sind solche Momente wichtig, bedeutsam, Pointen einer Erzählung, die sich nicht schert um die Konventionen des Fernsehens, also die größtmögliche Eindeutigkeit, am besten durch alleserklärenden Off-Kommentar. Einmal sagt der Chef des Hauses etwas in Richtung der Kamera, das ist ein Einzelfall. Ansonsten schaut die Kamera zu. Bei der Arbeit.
Man könnte sagen, Thomas Heises Filme hat es die Sprache verschlagen. Nach Material, dem großen, fragmentarischen Panoptikum des Umbruchs von 1989/90, hat sich etwas verschoben im Werk des vielleicht interessantesten deutschen Dokumentarfilmemachers. In Sonnensystem beobachtete Heise 2011 das indigene Dorfleben im Norden Argentiniens über ein Jahr. In Die Lage (2012) filmte er die Umstände des Papstbesuchs in Erfurt. Gegenwart hat mit letzterem den essayistischen Ansatz gemein. Und die Struktur: Wie in Die Lage ist Heises Krematoriumserkundung als filmisches Triptychon entworfen.
Der Prolog zeigt zu einem Kinderlied aus dem 19. Jahrhundert eine Winterlandschaft, deren Pixelgestöber Asche und Schnee zugleich sein könnte. Dann folgt die Beschreibung der Fabrik, die Asche herstellt. Und am Ende die Verausgabung im Karneval, tanzende Frauen, gefilmt aus atemloser Nähe, wiederum zu älterem Liedgut: »Wenn im sonnigen Herbste die Traube schwillt«.
Das Lied (»Am Rhein, am sonnigen Rhein«) gibt einen Hinweis darauf, wo das Krematorium steht: bei Boppard, da, wo der Rhein seine mythischen Wendungen nimmt, tief im Westen. Das Bestatten ist hier ein Synonym für die Funktionstüchtigkeit des Kapitalismus, von dem Heise sich Bilder (Kamera: Robert Nickolaus) und weniger Begriffe macht. Wörter verlaufen sich hier eher und entfalten dabei noch tiefere Wirkungen als der belebt wirkende Backstein.
Der Maurer nämlich trägt ein »Thor Steinar«-T-Shirt, also jene Marke, die Rechtsradikalismus als Mode camoufliert. Und auf einer handgemalten, fast kindlich wirkenden Skizze über die technischen Abläufe ist irgendwann »Zyklon« zu lesen, was Gegenwart in die Vergangenheit öffnet: Das Verbrennen der Leichen heißt hier Feuerbestattung und ist ein Geschäft. Ein Geschäft, in dessen reibungsloser Effizienz, die der Film auf eben banale Weise zeigt, ein Unbehagen aufgehoben ist, von dem man nicht recht weiß, ob es mit früher oder heute zu tun hat.
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