Kritik zu Zustand und Gelände

© Grandfilm

2019
Original-Titel: 
Zustand und Gelände
Filmstart in Deutschland: 
17.06.2021
L: 
118 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Ute Adamczewski spürt in ihrem Essayfilm der Geschichte der wilden Konzentrationslager nach, die die Nationalsozialisten ab März 1933 in Sachsen eingerichtet hatten

Bewertung: 3
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Der Blick der Kamera ist auf eine Straße in der Sächsischen Schweiz gerichtet und folgt starr ihrem Verlauf. Der Asphalt schlängelt sich zwischen einem Abgrund auf der linken und Felsen auf der rechten Seite entlang. Eine enge Kurve folgt auf die nächste. Die Bilder selbst erzählen erst einmal nichts. Sie zeigen einfach nur die Straße, Bäume, Felsen und rechts einen dünnen Streifen Kopfsteinpflaster. Eine Geschichte ergibt sich erst durch die von Katharina Meves gelesenen Texte, die aus dem Off erklingen.

1933/34 hatten die Nationalsozialisten die Jugendherberge Burg Hohnstein in ein Konzentrationslager verwandelt. Dort wurden sogenannte »Schutzhäftlinge«, in Wahrheit politische Gefangene, interniert, misshandelt und in die Zwangsarbeit geschickt. Einige von ihnen mussten unter größten körperlichen Anstrengungen eben diese Straße ausbauen, die nun, etwa 85 Jahre später, Stefan Neuberger so intensiv durch das Auge seiner Kamera betrachtet.

Ute Adamczewskis Essayfilm »Zustand und Gelände« vergegenwärtigt eine Spurensuche. Zusammen mit Stefan Neuberger ist sie durch ein winterliches Sachsen gereist, immer auf der Suche nach den Hinterlassenschaften jener Konzentrationslager, die von den Nationalsozialisten ab März 1933 überall in Deutschland eingerichtet wurden, um politische Gegner, also Sozialdemokraten und Kommunisten, sogenannte »Bibelforscher« und Gewerkschaftler, auszuschalten. In Sachsen gab es besonders viele von diesen frühen Konzentrationslagern, die in Sport- und Versammlungshallen, Jugendherbergen und leeren Fabriken entstanden, weil dort zu Zeiten der Weimarer Republik die Arbeiterbewegung besonders stark war. Also blickt Ute Adamczewski auf Gebäude und Straßen, auf Fabrikgelände und auf Burgen und fängt dabei vor allem Alltägliches ein.

Parkende Autos und spielende Kinder, die roten Fahnen einer Sparkasse, die im Wind wehen, und Menschen, die Supermärkte betreten oder wieder verlassen. Die brutale Gewalt, die einst an diesen Orten verübt wurde, ist vergessen. Gelegentlich erinnern Plaketten oder auch einzelne Mahnmale da­ran, was dort geschehen ist. Aber selbst dieses offizielle Erinnern, das in den Jahren direkt nach dem Zweiten Weltkrieg im Zeichen der politischen Inszenierung der SED stand, gerät immer mehr in den Hintergrund oder offenbart sogar etwas Fragwürdiges. So wurden nach der Wiedervereinigung einige der Erinnerungsstätten umfunktioniert und dem Gedenken aller Opfer politischer Gewalt gewidmet.

Wie problematisch diese Gleichsetzung von Nationalsozialismus und SED-Herrschaft ist, daran lassen bürokratische Briefwechsel, die die Entstehung und die Nutzung dieser wilden Konzentrationslager dokumentieren, und die aufgezeichneten Erinnerungen ehemaliger »Schutzhäftlinge« keinen Zweifel. In ihnen offenbart sich neben dem technokratischen Geist der frühen NS-Vernichtungsmaschinerie auch der exzessive Hass der Täter. Ein Hass, der bis heute weiterexistiert und sich nicht nur in den vom NSU verübten Morden manifestiert. Die Erinnerungen an die Barbarei der SA- und SS-Männer sind weitgehend verschwunden. Sie haben sich nicht in die Häuser und Straßen eingeschrieben. Der Alltag hat sie einfach getilgt. Aber der Geist, aus dem heraus diese Akte der Gewalt geschehen sind, lebt fort auf ebendiesen Straßen und in ebendiesen Häusern.

Das fortwährende Nebeneinander der Texte und Bilder, die nur in unseren Gedanken eins werden können, trifft einen auf eine besonders eindringliche Weise. Es führt einem vor Augen, was man alles nicht sieht, obwohl es doch da ist. Eine Straße ist niemals nur eine Straße, ein Gebäude nie nur ein Gebäude. Sie haben Geschichten, denen wir nachspüren müssen, wenn sich die Geschichte nicht wiederholen soll.

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