SXSW 2021
»Swan Song« (2021). © Chris Stephens
Filmfestspiele, Multimedia-Konferenz, Videospiel-Panels, Konzert-Reihe – die seit 1987 im texanischen Austin stattfindende Veranstaltung South By Southwest (kurz: SXSW) ist immer schon vieles auf einmal, in erster Linie Fan-Event und bisweilen einigermaßen unübersichtlich gewesen. Das cineastische Profil des Festivals ist dabei nur bedingt ausgeprägt: gerne wurde es in den vergangenen Jahren als Plattform für bevorstehende Mainstream-Kinostarts genutzt (sei es für den siebten Teil von »Fast & Furious«, »Brautalarm« oder die Werke von Lokalmatador Richard Linklater), ansonsten sind schwerpunktmäßig vor allem solche kleineren US-Produktionen zu sehen, die es nicht nach Sundance geschafft haben.
Am Konzept hat sich, nach der Absage 2020, nun auch in der virtuellen Corona-Version diesen Jahres wenig verändert. Blockbuster-Premieren gab es allerdings keine, und dem aus Europa zugeschalteten Fachpublikum blieb durch Geo-Blocking einiges verwehrt (während man anderes (»Language Lessons«, »Ninjababy«) schon von der Berlinale kannte. Ideale Gelegenheit also, sich frei von Vorgaben oder Sektions-Strukturen einfach nach Verfügbarkeit ein paar potentielle Rosinen aus dem Filmprogramm herauszupicken.
So stieß man dann prompt auf Udo Kier als ehemaliger Frisör und Drag Queen im Altersheim. In »Swan Song« von Todd Stephens, der vor 15 Jahren mit den »Another Gay Movie«-Filmen für die pubertär-albernen Auswüchse des amerikanischen Queer Cinema zuständig war, verbringt der 76-jährige als Pat Pitsenberger seinen vermeintlichen Lebensabend heimlich rauchend in der trostlosen Senioren-Wohnanlage einer noch trostloseren Kleinstadt in Ohio. Doch dann weckt das Testament einer ehemaligen, reichen Stammkundin, die für ihre Beerdigung von ihm geschminkt werden möchte, noch einmal seine Lebensgeister – und leitet einen kleinen Roadtrip (zu Fuß, per E-Rollstuhl und im Taxi) ein, der gleichzeitig in die Vergangenheit, aber auch in eine Gegenwart führt, in der alte Weggebleiter verschwunden sind und auch die letzte Schwulenbar im Ort vor der Schließung steht. Durch tiefschürfende Dialoge oder inszenatorische Raffinesse besticht der Film nicht, doch Kier als »Liberace von Sandunsky, Ohio« mal in einer Hauptrolle, fern aller sinisteren Bösewicht-Klischees und unter anderem einem Kronleuchter auf dem Kopf zu sehen, ist ein großes Vergnügen.
Mit »Potato Dreams of America« stammte ein weiteres SXSW-Highlight aus dem queeren Kino: der in Wladiwostok geborene Regisseur Wes Hurley erzählt in seiner kleinen Tragikomödie mit viel Witz, magischem Realismus und großer Nähe zur eigenen Biografie von einem Jungen, der zunächst in der UdSSR aufwächst und später in die USA zieht, in großer Liebe zum Hollywood-Kino entbrennt und seine Homosexualität zu akzeptieren lernt. Anders als »Swan Song« ist das keine Geschichte des Abschieds, sondern eine des Ankommens, aber beide Filme dienen als wunderbares Beispiel dafür, dass kleine Budgets und selbst eine gelegentliche Unbeholfenheit sich durch Herzblut, Charme und Liebenswürdigkeit aufwiegen und in echte Feel-Good-Unterhaltung verwandeln lassen.
Von ganz anderer Größenordnung ist der australische Western »The Drover's Wife The Legend of Molly Johnson« von Leah Purcell, die auch gleich die Titelrolle einer Schwangeren spielt, die in Abwesenheit ihres Mannes auf einer isoliert gelegenen Farm im Outback das Überleben ihrer Familie sichern muss. Als Vorlage dient eine Kurzgeschichte aus dem Jahr 1892, die Purcell einem feministisch-indigenen Perspektivwechsel unterzieht, was ein spannender Ansatz ist, der noch weiter ausgefeilt hätte werden können. Schauspielerisch und vor allem in seinen eindrucksvollen Bildern überzeugt der Film aber auf ganzer Linie. Ein ähnliches Urteil lässt sich auch über »Violet« fällen, das Regiedebüt der Schauspielerin Justine Bateman: Olivia Munn ist gut wie nie in der Titelrolle dieser Geschichte über die zerstörerische Kraft Selbstzweifel und einen mentalen Zusammenbruch auf ganzer Linie, doch als Meta-Narrativ über die Filmbranche funktioniert der in Hollywood angesiedelte Film nur bedingt.
Viel Sehenswertes gab es auch bei den Dokumentarfilmen, die nicht zuletzt durch ihre Protagonist*innen und Sujets bestachen. Während es »Introducing, Selma Blair« über die bekannte Schauspielerin und ihre MS-Erkrankung für ein europäisches Publikum nicht zu sehen gab, funktionierte »WeWork: Or the Making and Breaking of a $47 Billion Dollar Unicorn« als rasanter Blick auf den ebensolchen Aufstieg eines Start-Ups und seines fragwürdigen Bosses. Ebenfalls konventionell, aber mitreißend: »Under the Volcano« über das einst legendäre Musikstudio von George Martin auf der Karibikinsel Montserrat, in dem sich von Paul McCartney über The Police bis Elton John und Duran Duran die großen Musikstars der Siebziger und Achtziger Jahre die Klinke in die Hand gaben.
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