Berlinale: Traumberuf Lehrer
»Herr Bachmann und seine Klasse« (2021). © Madonnen Film
Maria Speth zeigt in »Herr Bachmann und seine Klasse«, dass unspektakuläre Methoden der Pädagogik große Wirkung entfalten. Und Ähnliches gilt für ihre dokumentarische Methode des unspektakulären Erzählens
Als »typische Vertriebenengemeinde« beschreibt der Wikipedia-Eintrag das hessische Stadtallendorf an einer Stelle. Gemeint ist die Nachkriegszeit, aber die Aussage hallt nach, wenn man die erste Schulstunde sieht, die Maria Speth in ihrem Dokumentarfilm »Herr Bachmann und seine Klasse« zeigt: Was Lehrer Bachmann da in seiner Gesamtschulklasse vereint, kann es an Internationalität mit jedem Filmfestival aufnehmen. Türkisch, Bulgarisch, Russisch, Arabisch, Italienisch geben seine Schüler als Muttersprache an; und diese Aufzählung ist keineswegs vollständig.
Ein ganzes Schuljahr verbringt man als Zuschauer mit Herrn Bachmann und der Klasse während dieses Films, der das Geschehen auf kurzweilige dreieinhalb Stunden kondensiert. Nicht, dass in diesem einen Jahr so viel passieren würde: Die zurückhaltende Ferhan bleibt zurückhaltend, die kecke Steffi wird immer noch kecker, der smarte Jaimie sagt nur was, wenn er gefragt wird, überrascht dann aber mit Tiefsinn oder Überzeugung. Gen Ende bekommen die einen eine Gymnasialempfehlung, die anderen werden im Realschulzweig weitermachen. Aber solche Infos bilden nur die Hintergrundmusik in Maria Speths faszinierender Studie über das, was Pädagogik ausmacht. Im Gegensatz zu vielen Dokumentarformaten, die jedes Detail zum Narrativ aufpäppeln, vermeidet Speth diese Art von künstlichem Erzählzuschnitt oder Skandalisierung. Im Vordergrund stehen in ihrem Film zuallererst die Personen, die Individuen. Ihre geduldig beobachtende wie unsichtbare Kamera ermöglicht auf betont unaufdringliche Art Einblicke in die ganz unterschiedlichen Sensibilitäten und Temperamente von Ferhan, Steffi, Jaimie und Konsorten. Zu sagen, dass sie einem ans Herz wachsen im Lauf des Films, ist fast eine Untertreibung. Als Zuschauer fällt einem am Ende der Abschied von der 6b fast schwerer als den einzelnen Schülern selbst.
Die sechste Klasse scheint altersmäßig für eine solche Beobachtung ideal. Die Schüler sind gerade keine Kinder mehr, verstecken sich aber noch nicht hinter jugendlichem Gehabe oder Slang-Rhetorik. Wenn Herr Bachmann versucht, sie mit ehrlichen Fragen zum Reden zu bringen, ringen sie oft mit der Antwort. In diesem Ringen aber, um das richtige Deutsch, vor allem aber um den richtigen Ausdruck fürs eigene Empfinden, wird so etwas wie der Zauber der Pädagogik sichtbar: In der Interaktion mit dem Lehrer wachsen die Einzelnen, lassen sich zu mehr Selbstbewusstsein, zu Solidarität und gegenseitigem Respekt überzeugen.
Dieter Bachmann ist ein besonderer Typ mit eigenen Methoden, die umso mehr überzeugen, als sie so völlig unspektakulär sind: Er gibt sich betont entspannt, das entspannt sogleich auch seine Schüler; er interessiert sich für die Einzelnen; er nimmt sie ernst; das »Leistungsprinzip« ist ihm nicht so wichtig. Sein Klassenzimmer gleicht einem Hobbyraum, mit Liege in einer Ecke und Musikinstrumenten, die zur Jamsession einladen. Wenn schon Lernen, dann wenigstens mit guter Laune, suggerieren Raum und Lehrer. Eine Lektion, die man mit ins Leben nehmen kann.
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