Streaming-Tipp: »Trigonometry«

»Trigonometry« (Miniserie, 2020). © BBC/House Productions

»Trigonometry« (Miniserie, 2020). © BBC/House Productions

Wie noch mal schwimmen lernen

»Trigonometry« ist eine bittersüße Serie über die Geometrien der Liebe. Da sind mit Kieran (Gary Carr) und Gema (Thalissa Teixeira) die zwei Enden einer scheinbar perfekten Beziehungsparabel. Perfekt in dem Sinne, dass die beiden wie für einander gemacht sind: die flippige Köchin mit eigenem Café, die vor lauter Sehnsucht nach Kieran bei einem Porno masturbiert, während der Krankenwagenfahrer im Dienst am Handy mithört. Alles andere als perfekt hingegen sind die Umstände, denn wegen Kierans Nachtschichten verpassen die beiden sich mehr, als sie sich sehen. In Momenten größter Sehnsucht muss ein gemeinsamer Spaziergang durch die Wohnung genügen, wie ihn das Paar in einem herrlichen Moment unternimmt. Eine kontemplative Runde durch die eigenen vier Wände, bevor die Tür ins Schloss fliegt und jeder in seine Zeitzone verschwindet.

Weil das Geld für das Apartment im gentrifizierungsgeplagten Londoner Stadtteil Hammersmith nicht mehr ausreicht, nehmen die beiden die Französin Ray (Ariane Labed) zur Untermiete auf. »Könnten wir alle bitte meine Vagina vergessen!«, raunt Gema peinlich berührt beim ersten Treffen, als sie unten ohne auf Kieran wartet, aber von der »Neuen« überrascht wird. Damit nimmt seinen Anfang, wovon die achtteilige Serie wie keine bisherige zu erzählen vermag: von einer Liebe zu dritt, die sich über Folgen hinweg mit magnetischem Knistern ankündigt, den dreien aber schließlich dennoch erst einmal die Schuhe auszieht.

Mit »Trigonometry« gibt die griechische Regisseurin Athina Rachel Tsangari ihr Seriendebüt. Die ersten fünf Episoden hat sie nach den Drehbüchern von Duncan Macmillan und Effie Woods inszeniert, die Sally-Potter-Schülerin Stella Corradi die restlichen drei. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Yorgos Lanthimos war Tsangari seinerzeit das Aushängeschild der »New Greek Wave«. Das Kollektiv, das sich schauspielerisch und finanziell in Filmen wie »Dogtooth« und »Attenberg« unterstützte, scheint Bestand zu haben. Beide arbeiten mittlerweile unter anderem in England und mit der wunderbaren Ariane Labed spielt Lanthimos' Ehefrau, wie schon in »Attenberg«, eine Hauptrolle in der Serie.

Labeds Figur, eine nach einem Unfall wasserscheue Exprofisynchronschwimmerin im Neuorientierungsmodus, ist eines der vielen gelungenen Bilder der Serie, geht es doch darum, in ungewohnten Gefilden neu schwimmen zu lernen. Es ist eine Rolle wie gemacht für Labed, die das Spiel zwischen Zurückhaltung und impulsiver Unsicherheit wie wenige beherrscht. In ihrer scheuen Mimik und den vor Freude oder Trauer glänzenden Augen tun sich Welten auf. Mit der vom Theater kommenden Neuentdeckung Teixeira und dem aus der HBO-Serie »Deuce« bekannten Carr, die beide ebenfalls mit unglaublicher Präsenz brillieren, gibt Labed ein großartiges Gespann ab.

Die auf der Berlinale uraufgeführte BBC-Serie bringt entwaffnende Natürlichkeit mit gepflegt zelebrierter »Dramedy« zusammen. Hier geben sich Verve und Drama die Klinke in die Hand: während und nach dem ersten gemeinsamen Date in einem Dragclub; in jener Folge, die sich in großen Zeitsprüngen der geplanten Hochzeit von Kieran und Gema nähert, oder in der darauffolgenden, die ausschließlich am Hochzeitstag spielt, an dem sich das Brodeln zwischen den dreien in einem zwischenmenschlichen Intermezzo voll verpasster Gelegenheiten entlädt.

»Trigonometry« ist die serielle Entstaubung des tausendfach durchgekauten Themas der Ménage-à-trois. Völlig unverstellt erzählt die Serie von den Ecken und Kanten des Dreiecks, von fluiden Geschlechterrollen und Sex, von Familie und von gesellschaftlichen Erwartungsmustern. Dass man in den überladenen letzten Folgen das Gefühl bekommt, dass zu kurzfristig und geballt Anlauf für eine längere Erzählung genommen wird: geschenkt! Dem wunderbaren Trio möchte man auf jede noch so wilde Gefühlsachterbahn folgen.

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