Eine Entfremdung
Steven Soderbergh verteidigte dieser Tage in einem Interview mit "Vanity Fair" die Entscheidung, die Warner Brothers für 2021 getroffen haben. Ein Studio, räsoniert er, muss die nächsten 12 bis 18 Monate im Blick haben - und in der aktuellen Situation könne man nicht auf die Filmtheater bauen. Warners blieben nur die Wahl, "etwas Geld oder aber tonnenweise Geld zu verlieren".
Er versteht zweifellos mehr vom Filmgeschäft und dessen Paradigmenwechseln als ich. Sein jüngster Film »Let them all talk« ist gerade bei HBO Max angelaufen. Womöglich hat er recht, wenn er vom Momentum der Filme spricht, dem genau kalkulierten Timing ihres Starts und Umfelds. Dennoch bin ich skeptisch, was diese Relationen betrifft. Die Budgets von »Matrix 4« , »Dune« etc. sind nicht etwas, das ein Studio einfach zähneknirschend abschreibt. Mit "tonnenweise" meint er im Gegenzug die Folgekosten, Werbung, Marketing und die Beteiligung der Kinos. Die werden trotzdem entstehen. Die 17 Filme brauchen schließlich Aufmerksamkeit zu ihrem Start. Sie müssen Ereignisse sein.
Derlei Blockbuster funktionieren kraft Überwältigung, sie entfalten ihre Wirkung in der Maximierung der visuellen und der Toneffekte. Daheim stellt sie sich nicht im selben Maße ein. Da ist alles eine Spur gedämpfter, entschärfter. Der Bann kann gebrochen werden und das Publikum bald die Ungereimtheiten der Plots oder die flauen Dialoge durchschauen. Das wäre übrigens auch ein denkbares Szenario für die Zeit nach der Pandemie: Die Filme werden kleiner, inhaltlich belastbarer. Der "Guardian" spekulierte dieser Tage darüber, ob das Jahr 2020 nicht als dasjenige in die Filmgeschichte eingehen könnte, in dem das Publikum von der Diät der Superheldenfilme entwöhnt wurde.
Wir befinden uns an einer Wegscheide, die spannende Entwicklungen zeitigen könnte. Blenden wir noch einmal kurz zurück zu der Krise, von der ich gestern schrieb: dem Aufkommen des Fernsehens, auf das Warner Brothers so schlecht vorbereitet waren. Dieser Konkurrent hatte auch segensreiche Auswirkungen auf das Kino, das sich seiner zuerst mit großen Breitwandspektakeln zu erwehren versuchte. Ich denke an die so genannte TV-Generation, Autoren wie Paddy Chayefsky und Gore Vidal sowie Regisseure wie Sidney Lumet, John Frankenheimer, Arthur Penn, Martin Ritt und später Pollack, die ihr Handwerk beim Live-Fernsehen erlernten und dem US-Kino ab Ende der 50er starke Impulse gaben. Momentan bringt Streaming vielleicht noch keine genuinen Talente oder eine eigenständige Ästhetik hervor. Aber die könnten sich dort heranbilden und das Kino bereichern.
Aber zurück in die Gegenwart, wo wir erst einmal vom Kinoerlebnis entwöhnt werden. Das muss keine irreversible Entwicklung sein. Aber die großen Ketten in den USA, namentlich AMC, befürchten nun bereits, dass das Modell bald nicht mehr die Ausnahme, sondern zur Regel wird. Jason Kilar, der neue Chief Executive Officer von Warner Media, behauptet zwar vollmundig seine Zuversicht: "theatrical", sprich: der Kinomarkt werde auch in zehn, 20 und 50 Jahren noch robust sein. Aber ich bezweifle, ob das überhaupt auf seiner Agenda steht.
Kilar bekleidet seinen Posten erst seit Mai diesen Jahres, hat es in der kurzen Zeit jedoch schon geschafft, der meist gehasste Mann in Hollywood zu werden. Dort wird er noch als digitaler Außenseiter betrachtet. Er kommt ursprünglich von Amazon, war dann einer der Gründer der Plattform Hulu. Das ist doch noch eine andere Welt als Hollywood. Traditionell saßen die Feindbilder der Filmschaffenden in New York, die Banken und Finanziers, denen es an Sinn für die Kunst gebrach. Stammen sie nun aus Silicon Valley? Kilar jedenfalls eilt der Ruf voraus, sich für Produkte und nicht für Inhalte zu interessieren. Er denkt er nicht von Burbank aus, sondern ist dem aktuellen Eigentümer von Warners verpflichtet, dem Telekommunikations-multi AT&T. Der blickt eher voraus in eine Zukunft der Streamingportale und noch zu erfindender Heimmedien.
Zwar schnellte dessen Börsenkurs nicht in die erhofften Höhen, als am 3. Dezember das hybride Verwertungsmodell angekündigt wurde. Aber man darf Kilars Manöver getrost als eine späte und gigantische Starthilfe für HBO Max werten. Die schon für das letzte Jahr angekündigte Plattform startete Ende Mai. Heiß erwartet wurde sie wohl nicht, trotz der imposanten Backlist, über die Warners Brothers verfügen, denn die Abonnentenzahl blieb anfangs weit hinter den Prognosen zurück. Sie steigt nur langsam. HBO Max ist bislang noch kein ernsthafter Streiter im viel beschworenen streaming war. Es ist fraglich, ob sich das durch Kilars Schachzug ändern wird. Der Investorentag von Disney hat gerade erst gezeigt, dass Abonnenten eher an Serien versessen sind sind und weniger auf Spielfilme (für die sie bei Disney+ allerdings auch erkleckliche Zusatzgebühren berappen müssen) Derzeit ist Kilars Vorstoß mithin noch ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft.
Jedoch erweckt der Mann den Eindruck, smart zu sein. Nicht, dass ich seinen bisherigen Verlautbarungen und erst recht seinen Bekenntnissen (s.o.) Glauben schenken würde. Seine Diktion missfällt mir gewaltig. "We need to talk about the fan. Let's talk about the customer." schreibt er zu Beginn des Beschwichtigungsversuchs, den er nach dem PR-Fiasko des 3. Dezember veröffentlichte. Nie ist darin von Zuschauern die Rede, einmal von Kunden, sonst immer nur von den "Fans", denen er großzügig die Wahl lassen will. Ich finde, der Begriff infantilisiert. Er wirft uns zurück in ein Alter bedingungsloser Anhängerschaft. Aber so macht man sich vielleicht einer Branche anheischig, die ihr Heil in der Berechenbarkeit von Franchises sucht. 2021 werden wir alle dazulernen. Und hoffentlich die Wahl haben, ins Kino zu gehen.
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