Nahaufnahme von Lance Henriksen
Lance Henriksen in »Falling« (2020). © Prokino
Auffällig wurde Lance Henriksen als Android vom Dienst in »Aliens«. Seitdem hat er immer gearbeitet – in Horrorfilmen und Western, auf B-Niveau oder im Kultsegment. Jetzt spielt er die Hauptrolle in Viggo Mortensens Regiedebüt
Im Mai ist Lance Henriksen 80 geworden; da liegt es nahe, seinen großen Auftritt im Charakterdrama »Falling« als verdiente Würdigung eines unterschätzten Darstellers zu feiern. Doch diese Gönnerhaftigkeit hat Henriksen nicht nötig. Allein seine laut IMDB 257 Filmauftritte, darunter neun noch nicht angelaufene Produktionen, beweisen, wie sehr der Veteran geschätzt wird. Welcher Hollywoodpromi kann sich rühmen, dass ein Film nach ihm benannt ist? So wird in »Bring Me The Head of Lance Henriksen« (2010), einem Mockumentary über den Arbeitsmangel von Schauspielern jenseits der vierzig, Henriksen als glorreiche Ausnahme hochgehalten. Die Huldigungen, die dem alten Mann von jungen Fans auf Comicmessen in den USA dargebracht werden, zeigen, dass Henriksen die Ikone eines Kinos ist, das unterhalb des Radars von Cineasten stattfindet. Sein Biotop setzt sich weitgehend aus Werken zusammen, die einst unter der Bezeichnung »Der phantastische Film« zusammengefasst wurden, üblicherweise aber als B-Movies firmieren.
Ab Mitte der Siebziger jedoch erfuhren Horror-, Sci-Fi- und Actionfilme dank junger Wilder wie Steven Spielberg und James Cameron eine stürmische Renaissance bis hin zum heute leinwandbeherrschenden Label »Fantasy«. Henriksen, der in den Siebzigern in New York seine Actors-Studio-Ausbildung abschloss und erste Schritte auf der Theaterbühne vollzog, hatte das Glück, in dieser Aufbruchszeit von Anfang an dabei zu sein. Entdeckt wurde er von Altmeister Sidney Lumet, der ihm in »Hundstage«, »Network« und »Prince of the City« Minirollen gab. Von da an ging es bergauf: In Steven Spielbergs Klassiker »Unheimliche Begegnung der Dritten Art« (1977) ist er Teil des Alien-Empfangskomitees, und in Philip Kaufmans Raumfahrtepos »Der Stoff, aus dem die Helden sind« (1983) verkörpert er im siebenköpfigen Astronautenteam Walter Schirra. Höhere Weihen bekam Henriksen aber durch James Cameron verliehen. In dessen Regiedebüt »Piranha 2 – Fliegende Killer« (1981) spielte er einen Sheriff. Und im Fantasythriller »Terminator« (1984) wurde er als Polizist vom Killer-Androiden Arnold Schwarzenegger schnell erledigt – es heißt, dass Cameron anfangs Henriksen als Terminator besetzen wollte. Einen Androiden spielte er schließlich in Camerons »Aliens – Die Rückkehr« (1986). Seinen Auftritt als Bishop – als selbst in halbiertem Zustand tatkräftiger Helfer von Sigourney Weavers Ripley – variierte er in zwei Fortsetzungen 1992 und 2004. In letzterer spielte er mit dem Industriellen Charles Bishop Weyland das Design-Vorbild des Androiden. Und mit dem Independent-Horrorfilm »Near Dark« (1987), in dem er als Anführer einer Bande marodierender Blutsauger auftrat, standen schließlich drei der coolsten Filme der Achtziger auf Hendriksens Visitenkarte. Traditionelle Vampirklischees über den Haufen werfend, inszenierte Kathryn Bigelow, Camerons damalige Freundin, mit »Near Dark« eine abgründige und vom träumerischen Sound von Tangerine Dream getragene Liebesgeschichte. Dank des Siegeszuges des neuen Mediums Videorekorder entwickelte sich die blutige Romanze zum Kulthit. Dennoch sind außer Henriksen (und dem vor drei Jahren verstorbenen Bill Paxton) alle damaligen Darsteller von der Bildfläche verschwunden.
Was ist das Geheimnis der beruflichen Langlebigkeit dieses Achtzigjährigen, der von sich behauptet, dass er seit Jahrzehnten kein Casting mehr absolvieren müsse? Henriksens latent beunruhigende Ausstrahlung macht ihn selbst in winzigen Rollen zum Hingucker. Das hagere, gefurchte Gesicht mit den großen, wachen Augen, der hohen Stirn und den Geheimratsecken verrät, gepaart mit der Reibeisenstimme, hinter der Rolle einen Menschen mit Vergangenheit. Tatsächlich hatte Henriksen, bevor er mit dreißig in den Schauspielerberuf stolperte, bereits ein Leben hinter sich. Er ist in Manhattan geboren, hat nur die Grundschule besucht, verdingte sich als Teenager bei der Marine, segelte um den Globus und schlug sich in Europa als Straßenmaler durch. Abenteuerlich klingt auch sein Eintritt in die Schauspielerei: Da er, quasi Analphabet, beim Casting für eine Off-Broadway-Produktion das Skript nicht lesen konnte, bot er dem Regisseur zur Ablenkung an, erst mal die Kulisse zu zimmern. Das Stück lernte er dann mit Hilfe einer von einem Freund besprochenen Tonbandaufnahme komplett auswendig. Die Bühne, sagt Henriksen, war seine eigentliche Schule.
Henriksen, der sich in seinen Beruf »hineinschwatzte«, verleiht seinen Auftritten oft die unverwechselbare Duftmarke eines gerissenen Hustlers. So gewährt Cameron ihm als Androiden Bishop, der als roboterhaft-rationaler Assistent entworfen ist, eine unerwartet menschliche Lässigkeit, die sich etwa in seinen berühmten letzten Worten an die Adresse der kämpferischen Ripley ausdrückt: »Nicht übel für einen Menschen!« Kathryn Bigelow schließlich lässt ihn als Jesse Hooker in Near Dark eine bis in den Südstaatenkrieg zurückreichende Redneck-Coolness ausstrahlen, die ihn für das neue Clan-Mitglied, einen naiven Farmerjungen, zur verführerischen Vaterfigur macht.
Seine Rolle in Bigelows Vampirwestern war die Blaupause für weitere Auftritte als Außenseiter und Desperado. Zwar gelang es Henriksen, dem der Stempel »gut abgehangen« deutlich auf der Stirn steht, neben vielen Gangster- und Polizistenrollen auch die Hauptrolle der Krimiserie »Millennium« zu ergattern, in der er einen Ermittler mit medialen Fähigkeit spielt. Der Western aber ist eines seiner liebsten Spielfelder. So war er in der starbesetzten Duellanten-Parade von Sam Raimis »Schneller als der Tod« (1995), in Jim Jarmuschs psychedelischem Anti-Western »Dead Man« (1995) und in Ed Harris' Regiedebüt »Appaloosa« (2008) mit Viggo Mortensen (nun Regisseur und Partner in »Falling«) zu sehen.
Trotz der großen Namen ist der Blick auf Henriksens Karriere ein Blick in den Maschinenraum des Kinos: in die Niederungen der »direct-to-video«-Produktionen, Videogames, hastigen Fernsehfilme und Synchronjobs, in denen er gerade in den letzten zehn Jahren seine charakteristisch tiefe Stimme zur Geltung bringen konnte. Henriksen betont oft, dass es in der Branche nur ums Überleben gehe. Beruflich hat er sich, ein Hobbymaler und -keramiker, wohl nie für einen Künstler gehalten. Doch in all den unzähligen Parts in Horrorfilmen, in denen er zwischen erleuchtet und gemeingefährlich schillert, gibt es eine Konstante: Henriksen ist, wie bereits in seiner bisher abgründigsten Rolle als Kopfgeldjäger in »Dead Man«, der souveräne Schweiger, dessen lauernde Präsenz Gänsehaut verursacht; ein Mann, der Small Talk anderen überlässt und dessen Wahnsinn Methode hat. Egal wie »campy« das Umfeld ist: Henriksens Auftritte geraten nie unfreiwillig komisch. In seiner charismatischen Rolle in »Das Halloween-Monster« (1988), wo er sich an eine Hexe wendet, um den Tod seines Sohnes zu rächen, zeigt sich eine weitere Konstante. Henriksen verkörpert gern – wie auch im Actionkracher »Flucht aus Absolom« (1994), wo er schlicht als »Vater« auftritt, den väterlichen Outsider, dem seine Anhänger in Hassliebe verbunden sind. Er selbst beschreibt diese ödipale Wirkung folgendermaßen: »Ich bin sehr streetwise, was die Produzenten sofort merken. Ich gehe in ihr Büro und bin sicher, dass sie denken: Dieser Typ wäre toll zu killen. Ich wurde auf jede nur denkbare Weise getötet.« Von daher ist seine Rolle eines fesselnd bösen Vaters in »Falling« vielleicht doch eine Art Krönung seiner langen Karriere.
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