45. Toronto International Film Festival
Idris Elba (r.) in »Concrete Cowboy« (2020)
Das Festival von Toronto fand in diesem Jahr im Hybrid-Modus und mit reduziertem Programm statt. Das schlug sich in der Qualität nieder: Die Studios hielten ihre aussichtsreichsten Filme zurück
Es war nicht nur das Fehlen des Glamour-Faktors, mit dem die diesjährige Auflage des Toronto International Film Festivals zu kämpfen hatte. Den besonderen Reiz des TIFF macht aus, dass dies ein Ort ist, wo wie kaum irgendwo sonst ein »Buzz« um Filme entstehen kann. Wo Schauspieler oder Regisseurinnen innerhalb von 90 Minuten zum Gesprächsstoff einer ganzen Branche werden können, wo Oscar-Chancen geboren oder zu Grabe getragen werden. Unvergessen etwa die Begeisterung für »Moonlight«, die hier 2016 schon Minuten nach dem ersten Screening um sich griff und sich so schnell ausbreitete, dass das Festival mit den Sondervorführungen gar nicht mehr hinterherkam.
Gemeinsames Warten auf den Einlass fiel in diesem Jahr also weg. Man versuchte sich an einer Hybridlösung: Kanadisches Publikum vor Ort konnte unter Auflagen einige Spielstätten besuchen, während Presse- und Industrie-Akkreditierte aufs Internet beschränkt blieben. Eine Art Stimmungsbild unter den Akkreditierten einzufangen, wurde fast unmöglich. Dass sich – von bereits in Venedig gefeierten Werken wie »Nomadland« und der nordamerikanischen Presse vorbehaltenen Filmen wie »Ammonite« von Francis Lee oder Spike Lees Eröffnungsdoku »David Byrne's American Utopia« abgesehen – so gar keine Must-Sees herauskristallisieren wollten, hatte aber auch einen anderen Grund: Das reduzierte Programm (50 statt sonst über 300 Filme) gab sie nur sehr bedingt her.
Angesichts der noch immer desolaten Kino-Situation in den USA sowie einer um zwei Monate verlängerten Oscar-Saison verzichteten Netflix und viele große US-Studios darauf, ihre vielversprechendsten Titel in Toronto zu zeigen. Stattdessen gab es, zumindest bei den auf Mainstream ausgerichteten Filmen, vieles zu sehen, was in anderen Jahren kaum Aufsehen erregt hätte.
Eine vertane Chance etwa ist Reinaldo Marcus »Greens Good Joe Bell«. Nach einer wahren Geschichte erzählt der Film von einem Vater (Mark Wahlberg), der zu Fuß die USA durchquert, um Aufmerksamkeit für das Thema Bullying zu erregen, nachdem sein schwuler Sohn sich umgebracht hat. Ein Film mit wichtiger Botschaft und vielen berührenden Momenten, der aber an der mangelnden Subtilität des Drehbuchs leidet – und mit dem Fokus auf den bloß zaghaft dazulernenden Heterosexuellen irritiert.
Deutlich gelungener waren zwei andere Vater-Sohn-Geschichten. In »The Water Man« muss der junge Bücherwurm Gunner (Lonnie Chavis, eine Entdeckung) mit dem Umzug in eine neue Stadt, einem distanzierten Vater sowie der Krebserkrankung der Mutter klarkommen und flüchtet sich nicht nur in eine Fantasie, sondern auf der Suche nach dem titelgebenden Mythos zusammen mit einem selbstbewussten Mädchen in die Wälder. David Oyelowo inszeniert das in seinem Regiedebüt zwischen Coming-of-Age und Fantasy als Hommage an Spielberg oder »Stand By Me«, mit farbstarken Bildern und viel Verständnis für Heranwachsende.
Auch »Concrete Cowboy« spielt damit, ikonische Motive afroamerikanisch zu besetzen. Es geht im Film von Ricky Staub um eine Community von urbanen Cowboys in Philadelphia, wo Teenager Cole (Caleb McLaughlin aus »Stranger Things«) bei seinem entfremdeten Vater (Idris Elba) unterkommt. Der eigentliche Plot entwickelt sich recht konventionell, aber das Setting des Films fasziniert ebenso wie die Kombination darstellerischer Vollprofis mit Laien aus dem Milieu. Kein Oscar-Anwärter sicherlich, aber ein Highlight in diesem Jahr.
Ebenso wie die erschütternde Dokumentation »MLK/FBI« über Martin Luther King Jr. im Fadenkreuz der Sicherheitsbehörde oder die eindrucksvollen weiblichen Coming-of-Age-Geschichten und Debüts »Beans« von Tracey Deer und »Holler« von Nicole Riegel, die eine angesiedelt in der indigenen Mohawk-Gemeinde im Quebec der 90er Jahre, die andere auf den Spuren von Debra Granik in Trumps Amerika.
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