Kritik zu Paradies: Hoffnung
Der letzte Teil von Ulrich Seidls »Paradies«-Trilogie erzählt eine sinistre Coming-of-Age-Geschichte
Ursprünglich als ein Film über drei einsame Frauen konzipiert, entstand bei der Arbeit an Ulrich Seidls Paradies-Projekt viel szenisches Material, das auf Improvisationen und dem Zusammenspiel von Laien und professionellen Schauspielern beruht, so dass der Wiener Autorenfilmer die bizarren Sommererfahrungen seiner Protagonistinnen am Ende in die Form von drei in sich geschlossenen Spielfilmen goss.
Der Übertitel Paradies zielt sarkastisch auf die Hölle masochistischer Obsessionen, in die sich Teresa (Margarethe Tiesel), Melanies Mutter, in »Paradies: Liebe« verstrickt, während ihre Schwester Anna Maria (Maria Hofstätter), eine Wiener Fundamentalkatholikin, in »Paradies: Glaube« dem mystischen Furor ihrer Jesusliebe verfällt. Auch der letzte Teil der Trilogie, Paradies: Hoffnung, setzt auf den Kontrast zwischen einer exaltierten Vitalität und einer überinszenierten, leerlaufenden Laborsituation – hier eine stillgelegte, betonaffine 60er-Jahre-Klinik, die als ikonisches Modell sozialer Kälte fungiert. Melanie (Melanie Lenz), eine rundliche 13-Jährige, verbringt den Sommer in diesem Haus, einem Diät-Camp, in dem eine Gruppe freundlicher, unschuldig wirkender Wiener Vorstadtkinder der rigiden Durchsetzung normierter Körperbilder ausgesetzt ist. Tagsüber herrscht der Drill des Trainers und der Ernährungsberaterin, zur Schlafenszeit erholen sich die dicken Kinder in ihren mit Stockbetten zugestellten Zimmern, reden, spielen und treiben Unsinn.
Die improvisierten, raunzig erzählten Geschichten der Jugendlichen über ihre dysfunktionalen Familien daheim, dazu die überquellende Bildfülle ihrer weichen Körper setzen dem toten Gemäuer eine starke visuelle Energie entgegen, doch Ulrich Seidl gelingen kaum Bilder, die diese Spannung produktiv machen. Paradies: Hoffnung wiederholt endlos banale Gänsemarschchoreografien, wenn die Gruppe vom linken zum rechten Bildrand und vice versa durch die tote Signatur der Räume geführt wird. Die Augenblicksdramaturgie der Spielszenen und der Symbolismus solch stilisierter Tableaus finden nicht zusammen. Paradies: Hoffnung bleibt der unschlüssigste Film der Trilogie.
Melanie verliebt sich in den Arzt und Chef der Diätklinik, den der Wiener Schauspieler Joseph Lorenz als ironisches Porträt eines heimlichen Lolita-Fantasten anlegt, der auf die pubertäre Hartnäckigkeit des Mädchens eingeht, archaisch schnüffelnd ihre Nähe herausfordert, am Ende jedoch die pflichtgemäße Enthaltung über sein Begehren stellt.
In ihren Manien befangen, sind Seidls Frauen keine Heldinnen der Emanzipation, doch entstehen durch die Spielfreude der Hauptdarstellerinnen surreale ambivalenteAtmosphären, die dazu einzuladen, ihre Grenzüberschreitungen mit eigenen Projektionen aufzuladen. In »Paradies: Liebe« und »Paradies: Glaube« verdichten die erfahrenen Theaterschauspielerinnen Margarethe Tiesel´und Maria Hofstätter die Subtexte der Spielarrangements, Melanie Lenz wirkt schutzlos preisgegeben, wenn sie sich dem ersten Mann ihres Lebens, einem Vaterersatz, sehnsüchtig aufdrängt und in den Alkohol flüchtet.
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