Kritik zu Fragen Sie Dr. Ruth

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2019
Original-Titel: 
Ask Dr. Ruth
Filmstart in Deutschland: 
27.08.2020
L: 
100 Min
FSK: 
6

Ryan White porträtiert die Frau, die als mediale Ikone seit vierzig Jahren für Emanzipation, Diversität und vor allem mehr Offenheit in Sachen Sex auftritt: Dr. Ruth Westheimer

Bewertung: 4
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»Dr. Ruth« ist für die USA Dr. Sommer und Oswalt Kolle zusammen, nur mit mehr Esprit und Humor. Hinter dem Label steckt eine sehr reale Person. Dr. Ruth K. Westheimer ist zwar nur ein Meter vierzig groß, doch ein Kraftwerk der Energie. Auch mit über neunzig Jahren denkt die charismatische Frau noch lange nicht an Ruhestand, sondern ist permanent unterwegs zu Gastvorträgen in der ganzen Welt. Sie hat eine Kolumne in der »Times« und 2018 drei Bücher veröffentlicht. Immer noch geht sie gerne als Gast in Fernsehshows, wie sie sie jahrzehntelang selber führte. Dabei wurde die Wissenschaftlerin und Therapeutin nach der fast zufälligen Entdeckung für eine Mitternachtsradiosendung zu sexuellen Lebensfragen 1981 bald zu einer populären Legende, die in den prüden USA immer wieder auch vehement für Emanzipation und Diversität eintrat.

Die charismatische Dame ist Star dieses Films, der sie bei ihren vielfältigen Aktivitäten begleitet, aber auch – mit vernehmbar deutschem Akzent – aus der bewegten Vergangenheit erzählen lässt. Ruth Westheimer wurde 1928 als Karola Siegel in einem Dorf bei Frankfurt als einziges Kind jüdisch-orthodoxer Eltern geboren, die sie 1938 vorsorglich mit einem Kindertransport in ein Kinderheim in der Schweiz verschickten. Als dort die ausführlichen Briefe von Eltern und Großmutter irgendwann ausblieben, ahnte Ruth (wie sie sich nun nannte) das Schlimmste. Es folgten die Auswanderung nach Palästina, wo sie von der jüdischen Organisation Hagana als Scharfschützin ausgebildet und bei einen Bombenangriff verletzt wurde. Ein Psychologie-Studium an der Sorbonne. Mehrere Ehemänner. Und – Erfüllung eines Lebenstraums – die Übersiedlung in die USA 1956. Im Film erzählt sie, wie sie sich damals unerlaubt von den gebuchten Billigplätzen im Schiffsbauch der »Liberty« nach oben schmuggelte, um bei der Einfahrt nach New York die Freiheitsstatue zu sehen.

Für ein Interview mit der »Los Angeles Times« erzählt Regisseur Ryan White, wie er nach der langen, deprimierenden Arbeit an dem Missbrauchs-Siebenteiler »The Keepers« dringend eine anti-depressive »Medizin« für seine Arbeit brauchte – und in der mitreißenden Persönlichkeit von Westheimer fand. In der vorwärtstreibenden Montage des Films findet er dafür eine kongeniale Form, die mit vielen gut ausgesuchten Dr. Ruth-Einspielern aus den TV-Archiven gewürzt wird. Während sie sich da in einer Talkrunde bei Ur-Feministin Gloria Steinem für ihre Vorarbeit bedankt, nimmt sie das F-Wort für sich nicht in Anspruch, dafür aber den etwas vermessenen Anspruch, nach Trennung mit der ersten Tochter die erste Alleinerziehende der USA zu sein. Vier Kinder und vier Enkel sind daraus geworden, private Ergänzung zur beruflichen Beschäftigung mit Sex, Familie und Partnerschaft. Die nahe liegende Tatsache, dass hinter Familiensinn und dem manchmal fast zwanghaften Optimismus auch die Verlusterfahrungen der Kindheit stehen, wird vielleicht etwas zu deutlich ausgesprochen. Und auch die kitschigen Animationen mit klimpernden Kulleraugen und Schmollmund, die diese Kindheits- und Jugenderfahrungen visualisieren sollen, sind zwar überflüssig, tun dem Film aber auch nicht wirklich weh.

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