Eine Frauensache, aber nicht nur
Leider habe ich Colo Tavernier O' Hagen nie kennengelernt. Als ich Bertrand Tavernier zum ersten Mal traf, lag die Scheidung des Paares schon acht Jahre zurück. Aber sie schrieb weiterhin Drehbücher für ihn. Er sprach häufig von ihr, mit großer Bewunderung und Klarheit: Er hatte ihr viel zu verdanken. Nun gab er auf der Seite des Institut Lumière bekannt, dass sie an Krebs gestorben ist.
Sie begeneten sich Anfang der 60er Jahre, als er noch als Kritiker und Presseagent arbeitete. Colo, die ihren Geburtsnamen Claudine nie mochte, hatte schon mit acht Jahren begonnen, Gedichte und später Kurzgeschichten zu schreiben. Mit den Western, die er so sehr mochte, konnte sie wenig anfangen. Sie lehrte ihn, dass die Cinéphilie nicht etwas Lebensfernes, sondern vielmehr Intimes, Persönliches sein kann. 1965 heirateten sie, ein Trauzeuge war der Produzent Georges de Beauregard; ihre Kinder Tiffany und Nils sind ebenfalls in der Filmbranche gelandet. Seinerzeit verfasste Colo Untertitel für englischsprachige Filme. Bei der Arbeit an Leo McCareys „Make Way for Tomorrow“ (dem Vorbild von „Reise nach Tokio“ und „Kirschlüten – Hanami“) brach sie regelmäßig in Tränen aus, so sehr nahm sie die dramatische Komödie um von den Kindern abgeschobene Eltern mit.
Das Temperament der Tochter irisch-spanischer Eltern muss beeindruckend gewesen sein. Wenn ein Kinobesucher während einer Vorführung zu laut redete, stand sie auf und verpasste dem Störenfried eine Ohrfeige. Sie wäre vermutlich eine sehr gute Filmjournalistin geworden; in „Amis américains“, seiner Sammlung von Interviews mit Hollywoodregisseuren, druckte Betrand einige Texte von ihr ab, die einen sehr eigenen Eindruck von den Filmemachern, etwa Elia Kazan, vermitteln. Bei einem Abendessen mit John Ford war der so fasziniert von der halben Irin, dass er ihr Dinge anvertraute, die ihr Mann allein nie herausbekommen hätte. Sie dachte nicht mit, sondern auf eigene Rechnung. Aus der Begegnung mit Robert Altman ging ein Drehbuch hervor, das dann allerdings doch nicht verfilmt wurde und für das sie auch nie Geld erhielt.
Als Bertrand anfing, selber Filme zu machen, legte er enormen Wert auf ihr Urteil. Zuerst entwarf sie Kostüme für ihn, schrieb einzelne Szenen; „Ferien für eine Woche“ wurde 1980 ihr erstes realisiertes Drehbuch. Bei der Pressekonferenz in Cannes sagte sie über ihren Mann, er könne gut Salate anrichten. Das klang wie ein vergiftetes Kompliment, war es aber nicht. Seine Filme sind komponiert als Mischung der Ausdrucksmöglichkeiten, als Freiräume für die daran beteiligten Künstler. In ihrem Drehbuchdebüt und in „Ein Sonntag auf dem Lande“ (für den sie 1985 den César gewann) entwarf sie sensible Porträts von Frauenfiguren im Spannungsfeld zwischen Schüchternheit, fast Verzagtheit, und Extrovertiertheit. Besonderes Gespür besaß sie für komplexe Vater-Tochter-Beziehungen; Dirk Bodarde trägt in „Daddy Nostalgie“ Züge ihres eigenen Vaters. Bei „Um Mitternacht“ (1986) bat Bertrand sie, David Rayfiels Drehbuch zu überarbeiten, weil die Dialoge der exilierten Jazzmusiker sowie der französischen Charaktere falsch klangen; insbesondere die Zeichnung der Tochter Francois Cluzets fand er zu amerikanisch. Mit „Die Passion der Béatrice“, kommen 1987 eine Härte und abgründige Rohheit in die Familienbeziehungen, die es zuvor in Taverniers Kino nicht gab.
Diese Härte ist auch in „Eine Frauensache“ zu spüren, den sie Ende der 1980er für Claude Chabrol schrieb. Er beruht auf der wahren Geschichte einer Engelmacherin während der Okkupationszeit und demonstriert ihr besonderes Faible für historische Recherchen. Auf den ersten Blick erscheint er wie die nüchterne Studie einer Frau, die zu keiner moralischen Selbsteinschätzung fähig ist. Bald taucht der Film das Publikum jedoch in ein Wechselbad der unterschiedlichen Blickwinkel und Reaktionen. Ihr Handeln kann man mit Augen ihres Sohnes betrachten, der sie innig liebt und regelmäßig verletzt wird von ihrer flüchtigen Aufmerksamkeit. Auch für ihren zudringlichen Ehemann (François Cluzet), den sie unablässig demütigt, mag man zeitweilig Mitgefühl empfinden; ohne die Perfidie zu entschuldigen, die es ihm möglich macht, die eigene Frau bei den Behörden zu denunzieren. „Eine Frauensache“ buhlt nicht um Sympathie, sondern fordert das Publikum heraus, sich zu fragen, was es an Stelle der Figuren tun würde. Ein Kabinettstück der Ambivalenz und zugleich eine großartig spröde Rolle für Isabelle Huppert, die deren Widersprüche nicht überspielt: Sie ist kaltschnäuzig, aber gleichzeitig zu sehnsuchtsvoll, innigen Freundschaften fähig. Man kann nicht umhin, eine gewisse Bewunderung zu empfinden für die Geschäftstüchtigkeit und den Einfallsreichtum, mit denen sie sich und die Familie aus ihrer materiellen Misere befreit.
Ab Ende der 80er arbeitete sie zudem viel als Drehbuchautorin fürs Fernsehen, meist mit Regisseurinnen. 1995 gewann „Der Lockvogel“, ihre letzte Zusammenarbeit mit Tavernier, einen umstrittenen Goldenen Bären; wiederum eine Studie in moralischer Ambivalenz. 2008 kam „Geliebte Clara“ heraus, ein Biopic über Clara Schumann (gespielt von Martina Gedeck), das sie mit Hema Sanders-Brahms schrieb. Die letzten 30 Jahre ihres Lebens teilte Colo mit der Cutterin und Toningenieurin Elisabeth Paquotte. Den Nachnamen Tavernier legte sie nicht ab. Liebe und Kino wollte sie nie voneinander trennen.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns