Streaming-Tipp: »Homecoming« Staffel 2
Janelle Monáe in »Homecoming« (Staffel 2, 2020). © Amazon
Ein kleines Ruderboot treibt auf einem See. In ihm liegt eine Frau. Als sie zu sich kommt, entdeckt sie am Ufer einen Mann. Sie ruft um Hilfe, doch er läuft davon. Also muss sie, die sich an nichts mehr erinnert, allein sehen, wie sie wieder an Land kommt. Schließlich wird sie in ein Krankenhaus gebracht. In ihren Taschen findet sich ein Veteranenausweis auf den Namen Jackie. Doch auch das sagt ihr nichts. Sie weiß nichts von ihrer Zeit beim Militär, und sie hat auch nicht die geringste Ahnung, wie sie in dieses Boot gekommen ist. Nur in einer Hinsicht ist sie sich absolut sicher. Aufgrund von Einstichspuren nimmt der Arzt im Krankenhaus an, dass Jackie süchtig ist, und will sie festsetzen. Doch sie weiß genau, dass sie kein Junkie ist und flieht.
Während Jackie mühsam versucht, etwas darüber in Erfahrung zu bringen, was ihr geschehen ist, hat man selbst sofort einen Verdacht. Schließlich drehte sich in der ersten Staffel der von Micah Bloomberg und Eli Horowitz verantworteten Serie alles um die Manipulation traumatisierter Soldaten. Im Rahmen des Homecoming-Programms wurden ihnen ihre Erinnerungen mit Hilfe eines vom Geist-Konzern entwickelten Wirkstoffs genommen. So sollten sie auf neue Einsätze vorbereitet werden. Es deutet also alles darauf hin, dass auch Jackie ein Opfer des privaten Militärdienstleisters ist. Nur ist es so simpel doch wieder nicht. Die Serie geht zwar nicht mehr derart radikal eigene Wege wie noch in der ersten Staffel. Aber dafür ist die Wendung, die sie nun vollzieht, von einer bemerkenswerten Rigorosität.
In der komplett von Sam Esmail inszenierten ersten Staffel hatten Bloomberg und Horowitz die oft als »militärisch-industriellen Komplex« beschriebene Verquickung von Militär und Privatwirtschaft, Forschung und Propaganda auf beeindruckende Weise offengelegt. Die Maschinerie des Systems wurde bis in seine kleinsten Details sichtbar. Nur ihr eigentliches Zentrum, in diesem Fall die Zentrale des Geist-Konzerns, blieb im Dunkeln. Eine faszinierende Entscheidung, die das Unbehagen angesichts der Machenschaften des Konzerns noch verstärkte. Die von Kyle Patrick Alvarez inszenierte zweite Staffel spielt nun zu großen Teilen in der Zentrale und auf der Farm ihres Besitzers.
Der »Geist« in der Maschine bekommt nun ein Gesicht und einen Körper, und die entsprechen so gar nicht den Erwartungen, die sich zuvor aufgebaut hatten. Während Esmails analytischer Stil den Blick für Strukturen schärfte, setzt Alvarez eher auf Emotionen. Nun geht es nicht mehr vordringlich um ein System, das Menschen in kleine Rädchen verwandelt. Alvarez und sein Team von Autoren rücken die einzelnen Figuren in den Fokus und verwandeln sie im wahrsten Sinne in Handlungsträger, die das System ausnützen, manipulieren oder gar an den Rand des Zusammenbruchs bringen können. So wird aus einer durch und durch politischen Serie ein serielles Melodrama mit politischen Untertönen.
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