Berlinale-Nachlese: Lebende Erinnerungen
»The Trouble With Being Born« (2020). © Panama Film
Das Gesicht des Mädchens ist ein klein wenig zu glatt, die Haut merkwürdig samtig und durchscheinend. Als die vielleicht Zehnjährige plötzlich mit dem Kopf unter Wasser im Pool treibt, scheint der Mann, der wohl ihr Vater sein muss, nicht schockiert, nur genervt – »Ned scho wieder!« – und zieht sie heraus. Elli braucht einen Reboot. Denn sie ist kein Mensch, sondern ein Android, anscheinend eine Alltäglichkeit in der nicht näher bezeichneten, doch von unserer Gegenwart nicht allzu weit entfernten Zukunft des Films »The Trouble With Being Born«: Die Abschlussarbeit der Österreicherin Sandra Wollner an der Ludwigsburger Filmakademie und ihr zweiter Langfilm nach »Das unmögliche Bild« war in der neuen Sektion »Encounters« einer der mutigsten und sicher der verstörendste Beitrag. Hoch verdient wurde er mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet.
Elli ist nicht nur Hauptfigur, sondern zeitweilig auch Erzählerin des Films, was in mehrfacher Hinsicht eine ziemlich trügerische Angelegenheit ist, denn wenn sie in Erinnerungen an lang zurückliegende Sommerurlaube schwelgt, dann sind das gar nicht ihre eigenen Erinnerungen, sondern wurden ihr so eingepflanzt. Elli tut und denkt und will, was ihre Erschaffer so programmiert haben, und sie wurde ganz nach den Wünschen von »Papa« gestaltet – seiner seit Jahren vermissten echten Tochter nachgebildet. Wenn nun also der Android Elli zu uns spricht, wer oder was spricht dann überhaupt – eine neue Art von Bewusstsein oder nur ein scheinlebendiges Sprachprogramm? Von Anfang an ist Wollners Film voller Fragen und Fallstricke. Und sehr bald schleicht sich eine noch weit verstörendere Ebene in die kühl beobachtenden Sommerszenen aus der Wiener Vorstadt. Denn dieser »Papa« und seine »Tochter« haben einen merkwürdig flirtenden, dann leidenschaftlichen Umgang miteinander.
Die in mehrere Richtungen abgründige Komplexität, die Wollner aus einer scheinbar einfachen Science-Fiction-Idee entwickelt, macht »The Trouble With Being Born« schon ziemlich beeindruckend. Wirklich famos ist aber die stilistische Geschlossenheit und Radikalität des Werks. Mit rätselhaften Sounds, aus denen sich erst langsam Konturen von Geräuschen und Wörtern herausschälen und wiederkehrenden sehr dunkel gehaltenen Bildern, bei denen nicht in jedem Moment klar ist, ob wir in ein Walddickicht hinein- oder aus einem Wimperndickicht herausschauen, mit so dezent wie effektvoll eingesetzten CGI-Elementen und nicht zuletzt mit Ellipsen und Fragwürdigkeiten der Chronologie fordert Wollner vom Betrachter höchste Konzentration.
Das Ergebnis dieser Angriffe auf unsere Sinne ist ein leises, doch wachsendes Gefühl des Unheimlichen und der Fremdheit, passend zum befremdlichen Geschehen um Elli, die nach ein, zwei überraschenden Wendungen zu Emil umgebaut wird und bei einer alten Frau unterkommt – als lebende Erinnerung an ihren vor vielen Jahrzehnten verstorbenen Bruder. Auch diese zweite »Episode« hat ihre Abgründe, wenn diese auch etwas anders gelagert sind als das finstere Vater-Tochter-Spiel des ersten Filmteils.
Mit seinen Reflexionen über das Menschliche und das Menschenähnliche, über Erinnerung und Identität, Macht und Missbrauch schließt »The Trouble With Being Born« an Werke wie »A.I.«, »Ex Machina« oder auch »Westworld« an, und wieder einmal geht der wahre, der tiefere Schrecken nicht von der Maschine, sondern vom Menschen aus. Wie Sandra Wollner von diesem Schrecken erzählt, so kühl und packend zugleich, das macht ihren Film zu einem Meisterwerk.
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