Berlinale-Nachlese: Genaue Beobachtungen
»Palazzo die Giustizia« (2020). © Maurizio Calvesi
Im Zoo-Palast die Begegnung mit einem Erstlingspielfilm aus Italien: »Palazzo die Giustizia« schildert einen langen Tag in einem großen Gerichtsgebäude, wo ein Schwurgerichtsprozess stattfindet. Aber er lässt sich Zeit, zu dem Prozess selbst zu kommen. Er beginnt in der Gerichtskantine, wo eine junge Mutter versucht, ihre verspielte kleine Tochter zu ernsthaftem Benehmen anzuhalten, was nur begrenzt gelingt. Die junge Frau ist mit einem Angeklagten liiert, der eine Tankstelle überfallen haben soll. Sein Komplize ist dabei erschossen worden, deshalb ist der Tankstellenbesitzer ebenfalls angeklagt, weil er möglicherweise bei dem tödlichen Schuss nicht in Notwehr handelte. Auch ihn sehen wir zunächst vor der Verhandlung im nervösen Gespräch mit seiner Tochter, die nur ein bisschen jünger ist als die Freundin des anderen Angeklagten.
Im Verhandlungssaal ist man dann nur relativ kurz, gerade mal so lange, dass die Tatvorwürfe in juristischer Diktion angesprochen werden, danach tritt der Fortgang des Prozesses in den Hintergrund. Der Film will also gerade kein herkömmliches »courtroom drama« sein, bei dem die Dramatik aus dem Prozessgeschehen entsteht.
Ihn interessieren die Vorgänge im Umfeld der Verhandlung und die nur indirekt vom Prozess betroffenen Angehörigen und Menschen auf den Gerichtsfluren, in der Kantine und im Hof. Eine eigenartige Atmosphäre herrscht im Gerichtsgebäude mit einer besonderen Mischung aus Spannung – wegen des unsicheren Ausgangs – und Langeweile aufgrund der unberechenbaren Wartezeiten. Der von der Prozessordnung geregelte Ablauf im Gerichtssaal kontrastiert mit den ungeplanten Ereignissen außerhalb des Saals, die aber auch ein Spektrum des Lebens widerspiegeln.
Der Film konzentriert sich auf die beiden wartenden jungen Frauen und das Töchterchen, wobei das kleine Mädchen ganz unbeeindruckt von der Örtlichkeit ist. Man merkt, dass die aus Mailand stammende Regisseurin Chiara Bellosi vom Dokumentarfilm herkommt. Sie nimmt sich die Zeit für genaue Beobachtungen, die ihren Film sehenswert machen.
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