Kritik zu Nach der Revolution
Yousry Nasrallah (El Medina – Die Stadt ) versucht mit seinem Spielfilm um einen armen Reiter und eine reiche Werbejournalistin, einen aktuellen Einblick in die komplizierte Lage im postrevolutionären Ägypten zu geben
Nicht nur China, Berlin und Israel haben eine Mauer. Die von Nazlet El-Samman ist sogar höher als die damals in Berlin und nicht mit Graffiti bemalt, sondern mit Bildern von Pyramiden und Sphinx – und schirmt eben diese von der Umgebung ab. Die Sehenswürdigkeiten bildeten bis vor kurzem die Haupteinnahmequelle der angrenzenden und durch die Mauer gleichzeitig davon abgeschotteten Anwohner, die die Touristen mit Kameltouren und Souvenirs beglückten. Als nach Einsetzen der Proteste auf dem Tahrir-Platz die Touristen ausblieben, ging es den Bewohnern der an die Pyramiden angrenzenden Vororte von Kairo schnell an die nackte Existenz. Dies wiederum nutzte Husni Mubarak aus, in dem er die Männer des Viertels mit dem – nie eingelösten – Versprechen, sich für ihr Anliegen einzusetzen, zur berüchtigten »Kamelschlacht« vom 2. Februar 2011 lockte.
Filmheld Mahmoud (Bassem Samra) ist einer dieser Anwohner, auch er war bei dem Angriff vom 2. Februar auf dem Tahrir dabei, fiel aber im Gedränge vom Pferd und wurde dann selbst von den Demonstranten geschlagen und gedemütigt. Danach werden er und seine Söhne von den Nachbarn gemobbt, denn wer so schmählich vom Täter zum Opfer wurde, hat auch die Ehre verloren. Reem dagegen (Menna Shalabi) kommt aus dem wohlhabenden Mittelstand Kairos und macht sich neben einer Karriere in einer Werbeagentur bei den revolutionären Umtrieben für Frauenrechte stark. Als sie bei einem karitativen Einsatz einer Freundin den Reiter Mahmoud kennenlernt, verfällt die frisch Getrennte dem attraktiven Mann trotz seiner offensichtlich´machistischen Züge. Doch Mahmoud hat Familie, und bald überlagert eine sozialarbeiterisch geprägte Freundschaft mit Ehefrau Fatma (Nahed El Sebaï) die erotische Begierde. Von Freunden bekommt Reem den Rat, Politik nicht mit Privatem zu mischen. Richtig in die Bredouille gerät Mahmoud, dem die häufige Präsenz der bourgeoisen Aktivistin als Prostitution und Verrat gegenüber dem Clan-Boss ausgelegt wird, der am Ort das Sagen hat.
Drastisch und anschaulich wird von Autor und Regisseur Yousry Nasrallah (El Medina, 1999) die Kette struktureller Gewaltverhältnisse dargestellt, die die ägyptische Gesellschaft von oben bis in die Klassenzimmer durchzieht. Gedreht wurde an Originalschauplätzen auf dem Tahrir und in Nazlet El-Samman: Im ersten Fall richtig gefährlich, im zweiten ein Heimspiel, weil Nasrallah Ort und Bewohner lange kennt. Während man in diesen Straßenszenen das vulkanische Brodeln des Umbruchs und seiner unauflösbaren sozialen und kulturellen Widersprüche ahnen kann, versuchen Plot und Dialogpassagen sich etwas holprig unbeholfen daran, Ordnung in das zu bringen, was an Konflikten brennt. So macht die Unvermitteltheit der aktuell entstandenen Produktion Stärke und Schwäche von Nach der Revolution aus. Der Film ist ein seismografisches Dokument der Situation: Statt des abgeklärten Blicks in eine kontingente Vergangenheit das Jetztbild aus dem Mittendrin. Die Revolution habe noch gar nicht begonnen, sagt der 1952 geborene Regisseur. Doch das Verlangen danach sei der erste Schritt.
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