Nahaufnahme von Fanny Ardant
»Die Schönste Zeit unseres Lebens« (2019). © Constantin Film
Ihr aktueller Film ist ein großer Publikumserfolg in Frankreich. Und überhaupt scheint Fanny Ardant sich ständig neue Karriereperspektiven und Rollen zu erschließen
Nach vier Jahrzehnten kann es passieren, dass die Lebensentwürfe entgleisen. Die Hoffnungen sind verschlissen, die Gemeinsamkeiten aufgebraucht. Welches Ehepaar passt nach so langer Zeit schon noch zusammen?
Marianne jedenfalls erträgt die verbitterte Nostalgie ihres Mannes Victor nicht mehr. Ihr Denken ist, obwohl sie sich als Psychoanalytikerin der Aufarbeitung der Vergangenheit widmet, zukunftstrunken. Während er früherem Glanz als Comiczeichner nachtrauert, ist sie begeistert vom technischen Fortschritt. Sie hat sogar eine App entwickelt, mit der sich Patienten online analysieren lassen können. Fanny Ardants Part in »Die schönste Zeit unseres Lebens« ist eine Paraderolle für die Schauspielerin. Ihre Figuren blicken meist ein Stück weiter als die Männer und haben tendenziell weniger Angst vor dem Verstreichen der Zeit, sondern vielmehr Lust, sie aktiv zu füllen. Das lässt sich auch über die Art sagen, in der sie in den letzten Jahrzehnten ihre Karriere eingerichtet hat. Sie will nicht haushalten mit ihrer Energie, sondern ihr immer neue Türen öffnen. Das Theater hat sie seit ihren Anfängen Mitte der 1970er Jahre nie aufgegeben, sie hat das klassische Repertoire von der griechische Antike bis zu Paul Claudel gepflegt und sich immer wieder mit modernen Autorinnen, vor allem Marguerite Duras, auseinandergesetzt. Seit ein paar Jahren inszeniert sie Opern und führt seit 2009 bei Kinofilmen Regie. Bei all dieser Entgrenzung ihres Talents bleibt sie eine Darstellerin, die dem Kino zur Verfügung steht: als Ensemblespielerin ebenso bereitwillig wie als Solistin.
Während sie in den 1980er und -90er Jahren vor allem ein erlesener Gefühlswert in europäischen Autorenfilmen war, hat sie danach das Spektrum ihrer Auftritte immens erweitert. Wie sehr ihr Komödienrollen liegen, bewies sie 1996, als sie für »Auch Männer mögen's heiß« einen César gewann und in Patrice Lecontes espritvollem Welttheater »Ridicule« mit spitzer Zunge und einem agilen Fuß unter dem Tisch brillierte. In »8 Frauen« gesellt sich zum komödiantischen Elan ein Hauch Verruchtheit, ein erotisches Raffinement, das das Handgemenge mit ihrer Rivalin Catherine Deneuve in einer leidenschaftlichen Umarmung ausklingen lässt. Obwohl ihr dramatische Figuren immer noch liegen, hat Ardant die Ungezwungenheit gleichsam zu einer moralischen Tugend erhoben; selbst der tragischen Maria Callas, die sie auf der Bühne und im Kino verkörpert hat, kann sie eine Prise Humor verleihen.
Ihre polyglotte Einsatzfreude kommt im zweiten Akt ihrer Karriere noch stärker zum Vorschein: Sie wirkt in englischsprachigen, spanischen und italienischen Filmen mit; ab 2006 wird Israel zeitweilig ein reizvoller Fluchtpunkt für sie. Sie findet Zeit für Kurzauftritte bei Paolo Sorrentino, gibt Filmen entscheidende Impulse in charismatischen Nebenrollen (am tragischsten 2007 in »The Secrets« von Avi Nesher) und lässt es zu, dass Claude Lelouch sie im selben Jahr zwar nominell als Hauptfigur von »Roman de Gare« besetzt, dann aber nach dem Auftakt für eine komplette Stunde aus der Geschichte verschwinden lässt. In »Visage« von Tsai Ming-liang liefert sie 2009 einen der eindrucksvollsten Beweise ihrer Experimentierfreude. Da spielt sie eine Filmproduzentin, die allen Widrigkeiten eines Filmdrehs trotzen und gar einen erlegten Hirsch durch Treppenhaus und Keller schleppen muss. Die Schauspielerin weiß, worauf sie sich bei diesem Regisseur einlässt: auf Szenen, die meist nur in einer Einstellung und aus verstiegenen Perspektiven gedreht sind und so eine eigentümliche Spannung zwischen ihrer Präsenz und dem Raum herstellen; ihr Stehen, Schreiten, Sitzen und Liegen gewinnt eine ganz andere Energie. Diese Schauspielerin will sich befremden lassen.
Sie mag es, wenn Sinnlichkeit unterschiedliche Gestalt annimmt. Die Erscheinung ihrer häufigsten Filmpartner, Gérard Depardieu und Jeremy Irons, könnte gegensätzlicher nicht sein. Dennoch geben sie jeweils glaubhafte Paare ab, die sich einander nicht anschmiegen, sondern als kompatible Kraftfelder der Inszenierung begegnen. Obwohl ihr Rollenspektrum weit gefasst ist, antworten Ardants Filme mitunter aufeinander.
Und wenngleich es schwerfällt, die fast 100 Kino- und Fernsehrollen, die sie seit 1976 gespielt hat, auf einen Nenner zu bringen, zieht sich ein Motiv wie ein roter Faden durch ihre Karriere: die Erforschung der Bedingungen bürgerlicher Liebe. Ardant beherrscht wie keine zweite deren Konversationsregeln. Die zahlreichen adligen Figuren, die sie verkörpert hat, darf man, der Einfachheit halber und mit angemessen republikanischer Nonchalance, diesem Korpus zuschlagen; zumal sie ihren bourgeoisen Charaktere ohnehin eine willkommene Noblesse verleiht.
Die typische Fanny-Ardant-Figur der letzten ein, zwei Jahrzehnte definiert sich nicht allein durch eine romantische Bestimmung. Sie steht mitten im Leben und ist meist erfolgreich im Beruf. Sie ist eine Gefährtin, die berechtigte Ansprüche stellt und auf Freiräumen beharrt. Der Widerstand, den ihre Charaktere gegen die Erstarrung der Verhältnisse leisten, kann auch darin bestehen, die erloschenen Gefühle neu zu entzünden. Die Anzüglichkeit, mit der sie die Vorspeisen in der Dinnerszene aus »Hello Goodbye – Entscheidung aus Liebe« (2008) verschlingt, schlägt ihren Ehemann Depardieu so sehr in den Bann, dass auch er die verschüttete Sehnsucht und Lust wiederentdeckt. Das Flair von Geheimnis und Unberechenbarkeit, das es dafür braucht, gehört gewissermaßen zur Grundausstattung ihrer Leinwandaura. Aber als Darstellerin ist sie redlich genug, diese immer wieder neu herzustellen.
In »Die schönen Tage« (2013) gelingt Ardant eine wunderbare Gratwanderung. Der Part der verheirateten Zahnärztin Caroline, die mit Anfang 60 ihren Ruhestand angetreten hat, ist das Glanzstück ihres Spätwerks. Die wohlmeinenden Töchter haben Caroline ein Schnupperangebot für einen Seniorenclub geschenkt, was sie erst gehörig abschreckt – bis sie in den Computerlehrgang kommt, den Julien (Laurent Lafitte) leitet. Ihre Anziehung ist stark und gegenseitig; auch wenn er keinen Hehl daraus machen kann, noch weitere Liebschaften zu unterhalten. Beide sind noch jung genug, um sich auf dieses Abenteuer einzulassen, und alt genug, es offenen Auges zu tun. Julien ist sicher, dass Caroline vor ihm wissen wird, wann die Liaison ihr Ende erreicht hat. Beide dürfen hoffen, dass der Abschied mit einem Lächeln vollzogen wird. Der Zauber des Verliebtseins kann in Marion Vernoux' Film auf überflüssige Illusionen verzichten. In dieser Liebesgeschichte, die keine Opfer fordern muss, um den Zuschauer wehmütig zu stimmen, fällt selbst dem betrogenen Ehemann (Patrick Chesnais) eine dankbare Rolle zu. Er ist scharfsinnig und gewitzt, muss keine Haltung wahren, sondern ist zu Einsicht fähig. Ardant und Chesnais beglaubigen ganz wunderbar, dass die zwei ihre Ehe nicht bloß über die Zeit gerettet haben, sondern sie ein verlässlicher Anker in ihrem Leben ist.
In Ardants besten Filmen darf sich der Zuschauer der Gewissheit anvertrauen, dass die Ereignisse für keinen der Beteiligten die letzte Chance darstellen. »Die schönen Tage« ist eine stolze Zwischenbilanz in ihrer Karriere. Ins Wechselbad aus Schuldgefühl und Lust an Flirt, Raffinement, Verstohlenheit ist sie seit ihren Anfängen bei François Truffaut nicht mehr so furchtlos und berückend eingetaucht. Ihre Nonchalance ist hinreißend, wenn sie Juliens Rotweinglas nimmt und in einem Zug austrinkt. Die Souveränität, mit der sie in »Die schönste Zeit unseres Lebens« E-Zigaretten raucht, ist ein sinnenfrohes Echo darauf. Ob auch dies eine Komödie der romantischen Wiederentdeckung ist, soll nicht verraten werden. Nur so viel: Sie bekräftigt Ardants Überzeugung, dass das Leben mehr Fantasie besitzt als wir.
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