Kritik zu Dicktatorship

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2019
Original-Titel: 
Dicktatorship
Filmstart in Deutschland: 
28.11.2019
L: 
90 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Italien als Heimatland der hyperpatriarchalen Strukturen: Gustav Hofer und Luca Ragazzi präsentieren eine humoristisch-emanzipative Tour de Force, die aufmerksam macht auf Geschlechterverhältnisse überall

Bewertung: 4
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Im Englischen ist »Dick« die Kurzform für Richard. Es ist aber auch ein (im Online-Wörterbuch Leo als vulgär eingeordneter) Ausdruck für den männlichen Penis. Diese Bedeutungsvariante ist im Titel angesprochen und wird gleich zu Beginn mit einer kleinen Parade an Videozitaten schwanzgeleiteter Potentaten von Erdoğan über Berlusconi bis Trump illustriert. Dann geht es an den Esstisch einer schönen römischen Wohnung, wo zwei noch fast junge Männer darüber räsonnieren, ob es machistisch ist, Angela Merkel den Besitz von Eiern (»le palle«) zu bescheinigen.

Das sind Gustav Hofer und Luca Ragazzi, die in einigen Filmen zu ihrem Heimatland Italien eine dramaturgisch reizvolle Kombination aus Presenter-Doku und »Good cop-bad cop«-Spiel entwickelt haben. Dabei inszenieren sich die beiden – auch privat ein Paar – als ewig debattierende Beziehungs-Sparringpartner, die als Stichwortgeber gemeinsam durch eine Kette dokutypischer Situationen führen. Hier gibt Gustav mit einiger Selbstironie den notorischen Frauenversteher, Luca den gegenüber gesellschaftlicher Diskriminierung des Weiblichen ungläubigen »maschilista«, wie er von Gustav mehrfach genannt wird.

Stationen auf der Bildungsreise sind viele mit leichter Hand satirisch inszenierte Unterhaltungen der beiden Hosts miteinander, Gespräche mit Zeugnisgebern aus Wisssenschaft und Gesellschaft und Besuche etwa bei einer Festivität zur Feier des Phallus im italienischen Monteprato oder der rechtskatholischen Fundamentalisten von »Il popolo della famiglia«. Ein wiederkehrendes Motto ist Elena Lucrezia Corner, die 1678 in Padua als erste Frau weltweit einen philosophischen Doktorgrad erwarb und doch in ganz Italien nur mit wenigen Straßen und keinem einzigen Hörsaal geehrt wird.

Das Argument geht munter von hier nach dort: Die Psychologin Nicoletta Malesa kon­statiert, dass Männergewalt keine Krankheit einzelner, sondern ein kulturelles Problem sei. Der Pornostar Rocco Siffredi gibt Auskunft über den Mythos vom Latin Lover. Der Männerforscher Michael Kimmel berichtet von einem interessanten Versuch mit Affen und Testosteron. Und die ehemalige Präsidentin der Abgeordnetenkammer, Laura Boldrini, berichtet von den misogynen Übergriffen, denen sie allein durch ihre Präsenz im politischen Raum ausgesetzt war.

Solcher Antifeminismus boomt ja derzeit weltweit online wie in der analogen Realität. Hofer und Ragazzi weisen es nicht empirisch nach, sehen aber in Italien durch die Tradition von Mussolini-Machismo, Berlusconi und Kirche eine besonders dominante patriarchale Praxis und Ideologie. Sie meinen (zu Recht), dass dies als Blickverschärfer für den Rest der Welt dienen kann – und propagieren die Veränderung von Männlichkeiten als gesellschaftliche Aufgabe. Sich selbst als schwule Männer sehen sie in einer guten Position, die Richtung zu weisen. Auch »maschio alpha« Luca, so viel darf verraten werden, ist am Ende bekehrt. In der echten Welt dürfte das größte Problem von »Dicktatorship« wieder einmal darin liegen, dass er die echten Lucas nicht erreicht.

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