Kritik zu Berberian Sound Studio

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Im Jahr 1976 wird ein britischer Toningenieur in Italien für die Arbeit an einem »Giallo«-Film verpflichtet, die sich bald als Alptraum mit kafkaesken Zügen herausstellt. Peter Strickland erweist dem Genre Referenz, in dem er den Blick darauf verweigert

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Steht eine Renaissance des »Giallo« bevor? Die italienische Filmgattung, die ihren Höhepunkt in den 70er Jahren hatte und in der die Kunst des stilvollen Mordens zelebriert wurde, ist heute durch DVD-Veröffentlichungen und durch Filme wieder präsent, die sich dem Genre auf eher experimentelle Weise annähern. Der britische Regisseur Peter Strickland zum Beispiel beschreitet den Weg der Verweigerung. Stricklands bemerkenswertes Regiedebüt Katalin Varga wurde bei der Berlinale 2009 mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet, wobei besonders das Sounddesign hervorgehoben wurde. Daran knüpft Berberian Sound Studio jetzt an.

Im Jahr 1976 wird der britische Toningenieur Gilderoy (Toby Jones) nach Rom geholt, um an der Tonspur eines Films zu arbeiten. Früh sieht man den Vorspann dieses Films, betitelt The Equestrian Vortex, einen jener typischen Vorspänne des italienischen Genrekinos jener Jahre, komponiert aus leuchtendem Rot und tiefstem Schwarz, mit schattenhaften Umrissen von Figuren und unterlegt mit einer treibenden Musik. Aber dieser Vorspann ist in gewisser Weise auch eine Täuschung, weckt er doch beim Cineasten den Appetit auf mehr. Der Film allerdings, bei dem es um Hexen, Folterungen und den Auftritt Satans geht, bleibt für den Kinozuschauer unsichtbar, er ist fortan nur noch auf der Tonspur präsent – und als Flimmern auf den Gesichtern der Menschen im Studio, die diese Tonspur erstellen.

Da werden verschiedenste Obst- und Gemüsestücke (bevorzugt Wassermelonen) mit Messern traktiert oder schwungvoll berstend auf den Fußboden geschleudert, was martialische Geräusche erzeugt, die von exzessiven körperlichen Torturen im Film künden; diverse Darstellerinnen bemühen sich, markerschütternde Schreie auszustoßen.

Nie verlässt der Film die Welt der Innenräume, neben dem spärlich ausgeleuchteten Tonstudio sieht man lediglich einen hellen, menschenleeren Flur und Gilroys ebenfalls abgedunkeltes Apartmentzimmer, in dem die Lektüre von Briefen seiner Mutter die einzige Abwechslung für den Engländer fern der Heimat markiert – Briefe über das Wachstum der Pflanzen im Garten und geschlüpfte Vogeljunge. Wenn der letzte dieser Briefe plötzlich nahe an die Welt von The Equestrian Vortex heranrückt, ahnt der Zuschauer, dass Gilderoy Gefahr läuft, seinen Verstand zu verlieren – oder dies tatsächlich schon geschehen ist.

Es ist ein konsequenter Endpunkt einer alptraumhaften Entwicklung, in der die Macht der Filmbilder ihre Wirkung nicht verfehlt. Schon die wiederholt in Nahaufnahme ins Bild gerückten behandschuhten Hände beschworen zuvor den »Giallo« herauf, zu dessen Merkmalen solche Bilder gehören – dabei hantieren diese Hände hier nur mit dem Filmstreifen. Gilderoy, kongenial verkörpert von Toby Jones, versucht immer wieder, die Erstattung seiner Flugkosten einzuklagen. Das wird ihm ein ums andere Mal verweigert und nimmt schließlich kafkaeske Züge an, wenn er nach vielen Vertröstungen schließlich einen Mann am Telefon hat, der glatt behauptet, dass es diesen Flug nie gegeben habe. Doch am Ende ist das noch das kleinste von Gilroys Problemen.

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