Kritik zu PJ Harvey – A Dog called Money
Kein Biopic, keine Künstlerdoku und auch kein Making-of, sondern das filmische Gegenstück zum neuesten Album: Fotograf Seamus Murphy und Sängerin PJ Harvey versuchen ein neues Konzept in der Popmusik
Das Album gilt in der Popmusik als aussterbende Kunstform: Musik-Streamingplattformen machen es immer einfacher für Hörer, eigene Playlists zusammenzustellen; mit dem Verschwinden der physischen Datenträger ist auch die konzeptionelle Einheit des musikalischen Werks abhandengekommen. Es gibt jedoch gegenteilige Entwicklungen, etwa das neu erwachte Interesse am Retroformat Vinyl sowie zukunftsgewandte Neuinterpretationen wie etwa Beyoncés gefeiertes Visual Album »Lemonade«. Die englische Indie-Künstlerin PJ Harvey hat nun ein ähnlich ambitioniertes Projekt vollendet: Mit »A Dog Called Money« erscheint unter der Regie des irischen Fotografen Seamus Murphy ein filmisches Gegenstück zu ihrem neunten Album »The Hope Six Demolition Project« von 2016 – zuvor erschien bereits der begleitende Gedichtband »The Hollow of the Hand«.
»A Dog Called Money« ist dabei deutlich mehr als bloßes Künstlerporträt, verfolgt Murphys Film doch ein klarer definiertes Ziel: Das Album wird hier für den Zuschauer wortwörtlich zum gläsernen Gebilde, indem sowohl Inspirationen wie auch Aufnahme und Produktion dokumentiert werden. So changiert der Film zwischen Impressionen von Reisen nach Afghanistan, Kosovo und Washington D. C., die Harvey als Inspirationsquelle für Text und Musik des Albums dienten, und den Aufnahmesessions, die öffentlich in einem Studio im Londoner Somerset House stattfanden – dort konnten Besucher der Künstlerin beim Einspielen der Songs durch einen Einwegspiegel zusehen.
Die beeindruckend gefilmten Reiseaufnahmen konzentrieren sich vor allem auf Auswüchse von Armut, sozialer Ungerechtigkeit und Gewalt; Harvey, deren Gedichtfragmente die Bilder begleiten, tritt hier hauptsächlich als sympathische Beobachterin auf, hin und wieder aber interagiert sie auch, etwa wenn sie gemeinsam mit lokalen Musikern an einer Jam-Session teilnimmt. Einer der Höhepunkte des Films ist ihr Besuch einer schwarzen Kirchengemeinde in Anacostia, Washington D. C., die einen ihrer Songs als Gospelversion zum Besten gibt.
Solche Szenen bewahren den Film und das Projekt als Ganzes auch vor dem Vorwurf des Elendstourismus: Harvey und Murphy sind eindeutig an den Perspektiven der Einheimischen interessiert und geben ihnen in »A Dog Called Money« gebührend Raum.
Indem der Regisseur die einzelnen Songs des Albums wie strukturierende Kapitel nutzt, werden die musikalischen Einflüsse und lyrischen Umsetzungen der Reiseerfahrungen unmittelbar sichtbar. Es ist eine faszinierende Aufschlüsselung dieses kreativen Prozesses, die sich zwar grundsätzlich an ein breites Publikum wendet, aber eben ganz besonders begeistert, wenn man mit »The Hope Six Demolition Project« bereits vertraut ist. Vormals kryptische Textzeilen finden dann plötzlich eine direkte visuelle Entsprechung; der Ursprung ungewöhnlicher Klänge offenbart sich in den intensiven Szenen im Londoner Studio. Erstaunlich ist nur, wie unpolitisch und vage der Film angesichts seiner Thematisierung universeller Erfahrungen von Gewalt und Marginalisierung bleibt.
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