Kritik zu Paranza – Der Clan der Kinder
Nach einem Roman von Roberto Saviano erzählt der Film vom Camorra-Nachwuchs in Neapel. In Berlin gab es dafür den Drehbuchpreis
In seinem Buch »Gomorrha« aus dem Jahr 2006 beschrieb der Journalist Roberto Saviano, wie die realen Mafiabosse Süditaliens filmische Vorbilder imitieren, allen voran Tony Montana aus »Scarface«. Seither hat Saviano eine vielgerühmte Fernsehserie aus »Gomorrha« entwickelt und eine Reihe weiterer, teils verfilmter Bücher geschrieben. Dabei kann man den Eindruck gewinnen, dass der Mann von einer Autorität in Sachen Mafia zu einer Art Marke geworden ist: Saviano-Verfilmungen sind fast ein eigenes Genre, ein Garant für eine »realistische« Milieuzeichnung, die vor allem auch unterhalten will (was Matteo Garrones sperriger »Gomorrha«-Verfilmung noch fern lag) und sich zunehmend selbst an filmischen Vorbildern orientiert.
Besonders deutlich zeigt sich das bei »Paranza – Der Clan der Kinder«, der auf der diesjährigen Berlinale Premiere feierte. Im Mittelpunkt steht der 15-jährige Nicola, der in ärmlichen Verhältnissen in Neapel aufwächst. Seine Mutter betreibt eine Wäscherei, und wie alle Gewerbetreibenden des Viertels zahlt sie regelmäßig Schutzgeld. Eines Tages bewirbt Nicola sich mit seinen Freunden beim lokalen Mafiaboss um einen Job als Drogendealer. Er macht seine Arbeit gut, und mit den ersten Erfolgen wachsen auch seine Ambitionen. Gemeinsam mit Agostina, dem Sohn eines verfemten Mafioso, will er die Macht im Viertel übernehmen.
Das klingt nach typischem Genre-Stoff und wird auch genau so typisch erzählt. Die »Authentizität« beschränkt sich auf On-location-Drehs und die Besetzung der Hauptfiguren mit Laienschauspielern. Sämtliche Konflikte und Konstellationen hingegen kennt man aus zahllosen Gangsterklassikern. Die jugendliche Bande von Straßenjungs zum Beispiel erinnert an die Clique aus »Es war einmal in Amerika«, und wenn Nicola für ein Attentat über die Dächer der Stadt klettert, denkt man unweigerlich an »Der Pate 2«. Der neureich-verkitschte Einrichtungsstil der Mafiosi wurde in »Goodfellas« amüsanter vorgeführt, den Aufstiegswillen und den Konflikt der besten Freunde kennt man aus den Warner-Gangsterklassikern der Pre-Code-Ära – wie auch der elegante Agostino mit seinem Menjou-Bärtchen eher nach Clark Gable aussieht als nach Neapel. Zu allem Überfluss wird Nicola als eine Art Robin Hood inszeniert, der die Menschen seines Viertels von den Schutzgeldzahlungen befreien will.
Das ist alles durchaus spannend und mit Sinn für Atmosphäre erzählt. Aber es streift hart an der Romantisierung vorbei und fügt weder dem Genre noch dem Saviano-Universum neue Facetten hinzu. Vielmehr wurde das Motiv der Teenager, die sich mit dicken Kanonen und großen Sprüchen als Mafiosi gerieren, in »Gomorrha« wesentlich pointierter (und finsterer) abgehandelt. In diesen Möchtegern-Tony-Montanas zeigte Saviano damals, wie das Leben die Kunst zu imitieren versucht. Bei »Paranza – Der Clan der Kinder« imitiert die Kunst die Kunst und behauptet, es sei das Leben. In gewisser Weise schließt sich damit ein Kreis. Die nächste Saviano-Verfilmung ist allerdings schon in Arbeit.
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