Schöne und noble Probleme
Heute feiert Krzysztof Zanussi seinen 80. Geburtstag. Dazu möchte ich ihm herzlich gratulieren und ihn zugleich dafür um Verzeihung bitten, dass ich nur wenige seiner Filme kenne. Außerdem würde ich gern wissen, woher die exquisiten Anzüge und Krawatten stammen, die er trägt.
Wenn man den Regisseur auf Fotos oder in Interview sieht, könnte man ihn ebenso gut für den Dekan einer Universität halten, für einen gewissenhaften Bankier oder einen kultivierten Produzenten. Seiner Erscheinung eignet eine seriöse Eleganz, die ein gewisses Raffinement allenfalls dezent verbirgt. Auch wenn man ihm zuhört, drängt sich nicht augenblicklich die Erkenntnis auf, dass er ein Filmemacher ist. Es ist seiner Rede noch immer anzumerken, dass er Physik und Philosophie studierte, bevor er an die Filmhochschule in Lodz ging. Biologie hätte er seinem Curriculum wohl auch noch gern hinzugefügt, aber die war seinerzeit in Polen anscheinend bereits sehr ideologisiert. Sein langer, verschlungener Weg zum Kino ist für dieses ein großes Glück. Das scheint mir zumindest so, nachdem ich zur Feier seines Ehrentages „Illumination“ gesehen habe, der 1973 in Locarno jeden Preis erhielt, für den er infrage kam und gemeinhin zu den Höhepunkten seines Werks gezählt wird. Das mir, wie gesagt, unvertraut ist und dessen Existenz mich nun mit erwartungsfroher Scham erfüllt.
Ich glaube, der erste seiner Filme, den ich sah, war „Ein Jahr der ruhenden Sonne“, über den ich in „Film Comment“ gelesen hatte, wo er als eines der großen Ereignisse des „New York Film Festival“ 1984 gefeiert wurde. Als er kurz darauf im öffentlich-rechtlichen Fernsehen lief, war ich mithin gespannt. Scott Wilson hat darin eine schöne Rolle, was nicht so oft vorkam in seiner Karriere, als ein verschwiegener GI, der 1946 bei einer Mutter und ihrer Tochter unterkommt. Letztere, gespielt von Maja Komorowska, besaß ein Leuchten, das mir fremd war und mich faszinierte. (Später sollte ich entdecken, dass sie schon häufig bei Zanussi gespielt hatte.) Meine Erinnerung an die Handlung ist vage; die Entbehrungen der Nachkriegszeit spielen eine vielschichtige Rolle. In einer Szene macht er seine Gastgeberinnen mit Süßkartoffeln bekannt und wie Komorowskas Figur „sweet pork“ ausspricht, hatte auch in der Synchronfassung einen guten Klang. Der Film war, das fand der Kritiker in „Film Comment“, eher untypisch für diesen Regisseur („Zanussi's least cerebral effort“), aber ich hatte nicht das Gefühl, ihn auf dem falschen Fuß erwischt zu haben.
Er drehte zu dieser Zeit, wie sein Kollege Wajda, oft im westeuropäischen Ausland. Damals unterstellte man Filmemachern aus dem Ostblock wohl eine besondere ideologische Autorität, wobei sie sich nach Kräften gegen die Zensur in ihrer Heimat behaupteten. Das „Kino der moralischen Unruhe“ hatte große Strahlkraft über Polen hinaus. Natürlich war mir Zanussis Name bekannt, obwohl er nie so ganz berühmt war wie Polanski und andere Absolventen von Lodz, die es vollends in den Westen verschlagen hatte. Das lag wahrscheinlich daran, dass sein Kino tatsächlich unter dem Verdacht stand, „verkopft“ zu sein. Seine Filme der 1970er spielen ja oft und gründlich im akademischen Milieu, handeln von der Konfrontation zwischen Wissenschaftlern mit gegensätzlicher Lebenseinstellung. Sie werden für mich noch zu erkunden sein. „Illumination“ jedenfalls war ein prächtiger Einstieg in diesen filmischen Kosmos: das Werk eines stolzen Zweiflers.
Zanussi rekapituliert darin ein gutes Stück weit seine eigene intellektuelle Biographie, folgt diversen Suchbewegungen, die einen Physikstudenten zeitweilig in die Neurochirurgie und in ein Kloster verschlagen. „Ich nehme an, du beschäftigst dich mit sehr schönen und noblen Problemen“, sagt seine erste (neben der Wissenschaft) Liebe zu ihm, als sie ihm, der längst Familienvater ist, wieder begegnet. Es geht auch um studentische Lebensweisen, aber weniger als Zeitbild einer Boheme, sondern eher eines existenziellen Freiheitsbedürfnisses. Von den Studentenunruhen 1968 konnte Zanussi nur mit dem Zwischenschnitt auf ein Foto berichten; auch in Polen ein Tabu. „Illumination“ ist ein Essayfilm, mit atemloser Wissbegier montiert, der aufgeworfene Ideen durch dokumentarisches Material, Tabellen, Grafiken etc. untermauert. Sozusagen ein Film mit lauter Fußnoten. Auch die Sinnlichkeit der Liebesgeschichte(n) wirkt erst einmal recht anatomisch. Poesie stellt sich dennoch ein. Der Hauptdarsteller Stanislaw Latallo, mit dem sich Zanussi offenbar nicht so gut verstand (er war selbst Regisseur), ist einnehmend in seiner intellektuellen Redlichkeit und Unruhe; seine Mundwinkel besitzen gute Voraussetzungen für ein Lächeln. „Du meinst, es ist nur eine Neurose?“ fragt er einmal eine befreundeten Arzt, der erwidert „Was meinst du mir 'nur'?“
Wenn in „Illumination“ über wissenschaftliche Forschungen debattiert wird, stellte sich mir ständig die Frage nach ihrer ost-westlichen Zirkulation. Betrieb man sie Anfang der 1970er Jahre parallel oder rivalisierend? Wie fand ein Austausch statt? Im nächsten Augenblick dachte ich, diese Frage ließe sich ebenfalls an die Filmgeschichte richten. Das könnte eine Prämisse für die weitere Erforschung von Zanussis Werk sein: Es überwindet Grenzen, nicht nur zwischen Disziplinen; es schließt nichts aus.
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