Kritik zu Nome di donna
M. T. Giordana (»Die besten Jahre«) weitet die Debatte um Missbrauch in der katholischen Kirche aus. Eine Pflegerin lehnt sich gegen das System sexueller Nötigung auf, das in einer Seniorenresidenz herrscht
Der entscheidende Moment dauert nur kurz, fast bekommen wir nicht mit, was an diesem Septemberabend passiert. Flüchtig ist er jedoch nicht. Er wirkt nach, sein Echo ist lauter als der Schrei, der in ihm erstickt. Ninas Leben wird er unwiderruflich verändern. Bis zu dieser Minute ist die gelernte Restauratorin (Cristiana Capotondi) glücklich, eine Anstellung als Pflegerin in der katholischen Seniorenresidenz gefunden zu haben. Es schien kein Problem zu sein, dass sie alleinerziehende Mutter ist. Ihre Tochter hat neue Kameradinnen gefunden und ihr Lebensgefährte Luca sich damit abgefunden, dass sie eine Autostunde entfernt von Mailand arbeitet. Mit ihren Kolleginnen versteht sie sich gut.
Aber dann bestellt sie Direktor Torri (Valerio Binasco) nach Ende ihrer Schicht in sein Büro. Er gibt sich konziliant, ein eleganter, kultivierter Herr, dem das Wohl seiner Angestellten am Herzen liegt. Warum bestand er nur darauf, dass sie ihre Uniform anbehält? Sie lehnt den Wein ab, den er ihr anbietet, und wehrt sich, als er sie bedrängt. Sie flieht aus dem Büro, stellt eine Kollegin zur Rede, die sie nicht gewarnt hat. Als Torri und der Personalchef sie am nächsten Tag einbestellen, lässt sich ihr Angreifer nichts anmerken. Er versteht es, seine Untergebenen mit freundlichen Worten einzuschüchtern. Der Schrecken stellt sich in Nome di donna samtpfötig ein, maskiert sich hinter patriarchalem Wohlwollen und Fürsorge. Bisher funktionierte Torris System der erotischen Gefälligkeiten reibungslos. Der Film bricht das Stillschweigen, in dem er regelmäßig zum Bild der uniformierten Pflegerinnen zurückkehrt, die vor seiner lindgrünen Tür stehen. Nina aber wird den sexuellen Übergriff nicht hinnehmen.
Marco Tullio Giordana inszeniert ihr Martyrium mit redlicher Befangenheit: Er legt großen Wert darauf, jeden falschen Ton, jedes falsche Bild zu vermeiden. Das David-gegen-Goliath-Drama ist hier weitgehend eine Frauensache. Die ersten Konflikte trägt Nina mit ihren Kolleginnen aus, die der Unruhestifterin nun mit offener Feindseligkeit begegnen. Sie sucht Hilfe bei zwei engagierten Gewerkschaftsvertreterinnen; vor Gericht plädieren zwei Anwältinnen. Aber »Nome di donna« weigert sich, das weibliche Prinzip bequem als gesellschaftliches Korrektiv zu beschwören. Der Film nähert sich jeder Figur mit leisem Vorbehalt: Ninas Vertrauen ist erschüttert durch das, was ihr widerfuhr.
Umsichtig fängt das Drehbuch diese Skepsis auf; die vermeintlich nüchterne Inszenierung offenbart eine zuverlässige Empathie. Cristiana Capotondi ist großartig als Ausgestoßene, die Mut fassen muss und an Anfechtungen wächst. Nie verrät sie Ninas Aufruhr an eine Sentimentalität, die um Zustimmung buhlt. Ihr Reifungsprozess ist heroisch genug. Giordana umfängt sie mit einem Darstellerensemble, das sich diskret in die Figuren einfühlt. Das einzige vertraute Gesicht in dieser Riege gehört Adriana Asti. Sie spielt eine alte Schauspielerin, die den heikelsten Dialogsatz des Films spricht: »Belästigung? Früher nannte man das Komplimente!« Aber sie sagt ihn in dem Bewusstsein, dass er nie stimmte.
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