Er gehorchte nicht gern
Bei einigen der beeindruckendsten Interviews, die ich je geführt habe, kam ich kaum zu Wort. Ich denke dabei vor allem an zwei Gespräche mit Regisseuren, das eine mit Alan J. Pakula, das andere mit Youssef Chahine. Von Führen konnte keine Rede sein, Beiwohnen traf die Wahrheit eher. Es ist ein peinliches Glück für einen Journalisten, wenn sein Gesprächspartner schon mal ohne hin loslegt.
Chahine traf ich vor fast 30 Jahren, als er nach Berlin kam, weil das Kino Arsenal eine Retrospektive seines Werks zeigte. Er fing damit an, mir eine Frage zu stellen, die er flugs selbst beantwortete. Er berichtete ausgiebig von einem Streik, einem Hungerstreik gar, den ägyptische Filmkünstler gerade gegen ein neues Gesetz abgehalten hatten. Ich las das Interview dieser Tage wieder, zum ersten Mal seitdem, es ist im Archiv der taz abrufbar, und hatte einen Heidenspaß dabei. Es war eine turbulente Begegnung, ich war seinem überschäumenden Temperament hilflos ausgeliefert. All meine Versuche, seinen Redefluss einzudämmen, scheiterten erfreulicherweise. Vermutlich habe ich die meisten Fragen für die Veröffentlichung hinzuerfunden.
Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich mich mit einem so leidenschaftlich politischen Regisseur unterhielt. Seine Nervosität war nicht ansteckend, sondern entgegenkommend. Er musste sich mitteilen, Rechenschaft ablegen über sein Tun. Insgeheim war er vielleicht sogar dankbar dafür, dass sein Gegenüber so ahnungslos und wissbegierig war. Ich erfuhr viel über das ägyptische Kino der Nachkriegszeit, über seine Liebe zu Nasser, die von dessen Kabinett verraten wurde, über die vier Kriege, die sein Land in Folge gegen Israel verlor und die Mythen, mit denen die wechselnden Regimes dies verschleierten. Seine Antworten waren erstaunlich und verblüffend (»Der Stil eines Films hängt immer davon ab, wer der nächste Präsident wird.«). Ich ärgere mich nur, dass das Interview im Netz eine falsche Überschrift hat: Wo, nicht wie, ist das Negativ dieses Films? fragte ihn der entsetzte Innenminister nach der Premiere von »Alexandria – warum?«. Falls Sie Lust haben, es zu lesen, noch eine kleine Ergänzung: der Schauspieler, der ihm 1959 in Berlin den Bären für den besten Darsteller wegschnappte, war Jean Gabin in "Im Kittchen ist kein Zimmer frei".
Sechs Jahre später traf ich ihn noch einmal in Lyon, wo er neben vielen anderen Regisseuren zum 100. Jubiläum der ersten Dreharbeiten der Brüder Lumière eingeladen war. Seine Kollegen unterzeichneten eine Petition gegen das Zensurverbot seines aktuellen Films »Der Emigrant«. Er war so streitbar, ungehorsam und vergnügt wie je. Ich bezweifle, dass er sich an unsere erste Begegnung erinnerte. Aber er freute sich mächtig, dass ein deutscher Journalist zugegen war: »Darüber müssen Sie unbedingt in ihrem Artikel schreiben!« Es war schwer, ihm etwas abzuschlagen.
Den leidenschaftlich engagierten Mann, den ich nur flüchtig kennenlernte, konnte ich nun ein Stück weit in der kleinen Ausstellung wiederfinden, die in der »Galerie des donateurs«, der Galerie der Spender, der Cinémathèque francaise zu sehen ist. Sie wurde im November eröffnet, aus Anlass seines zehnten Todestages, und läuft bis zum 28. Juli. Es ist schön, dass er nicht vergessen ist, warum sollte er auch? Im März hat ihm das Arsenal erneut eine kleine Werkschau ausgerichtet, im nächsten Monat folgen weitere in der rührigen Schweiz: zuerst im Filmpodium Zürich, dann im Stadtkino Basel und im Rex in Bern.
Die Pariser Schau wird seinem klugen Ungestüm nicht Herr; sie ist angemessen lebhaft. Viele Exponate stammen aus der eigenen Sammlung, wie Joel Daire mir stolz berichtete. Aber die spektakulärsten – Kostüme, Schmuck (wann sieht man den sonst in seriösen Filmausstellungen?) - sowie all seine Auszeichnungen und Preise stammten von seiner Produktionsfirma in der Rue Champollion in Kairo, die heute von seiner Tochter geleitet wird. Sein Schreibtisch ist akribisch rekonstruiert – es passt zu diesem Mann, der radikal aufrichtig gegenüber seinen eigenen Erfahrungen war (wer kommt schon auf die Idee, die eigene Herzoperation in einen Film einzubauen?), dass er jede Kleinigkeit aufbewahrte, Bleistifte, Anspitzer, Rollen mit Tesafilm.
Der wagemutige politische Filmemacher ist in der Ausstellung präsent (dass Chahine zeitweilig im Libanon im Exil lebte, war mir neu), sein Arbeitstemperament scheint auf (unter anderem in einem schönen Zeugnis der Sängerin Dalida), ebenso der Einfluss, den das Hollywoodkino auf ihn hatte, sowie seine spätere Partnerschaft mit dem französischen Kino, insbesondere dem Produzenten Humbert Balsan. Im Interview sprach er damals ausführlich über die Rolle der Musik als einem Mittel, die Zensoren zu täuschen. Die Schau ist eminent musikalisch, bereits im Treppenaufgang wird der Besucher von ägyptischen Chansons begrüßt. Chahines Anfänge im Musicalgenre, die in Retrospektiven gern unter den Tisch fallen, haben hier viel Platz. Er empfand sie, behauptete er im Interview, als eine Unterordnung. In der Schau wirken die Gesangsnummern aber mitreißend impulsiv und pathetisch. Die Montage von Tanzeinlagen aus mehreren Jahrzehnten knüpft prächtig daran an; Patrice Chéreau ist großartig als Napoleon, der sich listig den ägyptischen Sitten anpasst. Das Ausstellungskonzept zielt darauf, Youssef Chahine als ungemein zugänglichen Filmemacher zu zeigen. Vielleicht hegt sie ihn damit zu sehr ein. Die vielen Facetten, Widersprüche, Kontinuitäten: Alles eine Frage der Proportion, sagte er damals zu mir. Die Feier seiner unbändigen Lebensfreude ist ohnehin eine triftige Ergänzung zur zirzensischen Frühjahrsausstellung der Cinémathèque, die eine Verbindung zwischen Fellini und Picasso herstellen will. Beide fügen sich zu einem Plädoyer für das Filmemachen in der ersten Person Einzahl. Wie sagte Youssef Chahine in unserem Gespräch: »Fellinis Filme sind am stärksten, wenn sie von seiner Kindheit erzählen.«
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