Kritik zu Die rote Linie
Karin de Miguel Wessendorf zeichnet die inzwischen historischen Proteste im Hambacher Forst nach
Die großen Bürgerbewegungen seit den 80er Jahren haben eines gemeinsam: Als die Menschen in Brockdorf, Gorleben oder Wackersdorf gegen Atomkraft auf die Straßen gingen, erwiesen sich ihre Proteste als medienwirksame Rituale von großer Symbolkraft. An diese Tradition knüpfen die Aktionen um den Hambacher Forst an. Kaum ein Wald eignet sich besser als Symbol für den Kampf ums Weltklima: Hier die alten Bäume; dort die gigantische Mondlandschaft des Braunkohle-Tagebaus, die Karin de Miguel Wessendorf zu Beginn mit einer Drohnenkamerafahrt effektvoll in Szene setzt: Soll unsere Welt künftig so tot wie diese Wüste sein?
Die Proteste gegen die Rodung haben sich inzwischen als erfolgreich erwiesen. Insofern ist man nur noch gespannt auf jenen Weg dorthin, den der Film nachzeichnet. Nach »Weniger ist mehr – Die Grenzen des Wachstums und das bessere Leben« hat die in Barcelona geborene Filmemacherin nun Aktivisten rund um den Hambacher Forst seit 2015 mit der Kamera begleitet. Im Zentrum ihrer Langzeitbeobachtung, die die Ereignisse samt Gerichtsbeschlüssen, Ausschussbildungen und Großdemos in groben Zügen rekonstruiert, stehen vier Protagonisten, die sich wechselseitig ergänzen.
Lars lebt mit Frau und Kind in einer Geisterstadt. Der Familienvater weigert sich, die seit 2006 umgesiedelte Ortschaft Immerath zu verlassen, die dem Braunkohleabbau Garzweiler weichen soll. Als Mitglied der Kohlekommission lässt sich die Umweltschützerin Antje Grothus unterdessen auf jenen komplexen Diskurs um den Hambacher Forst ein, der in diesem auf Emotionen setzenden Film nur am Rande anklingt. Im Zentrum steht jenes Gefühl, das hauptsächlich der »Waldpädagoge« Michael Zobel verbreitet. Während er Interessierte durch den Hambacher Forst führt, erklärt er, der »Hurrikan in Texas« und der »Bergrutsch in den Alpen« seien »alles Zeichen eines Klimawandels, der sehr rasch vorangeht«.
Auch im Wald herrscht Untergangsstimmung. Für den anonym bleibenden Aktivisten »Clumsy«, der in 15 Metern Höhe ein nicht genehmigtes Baumhaus errichtet hat, ist der Gesetzesbruch legitim. Hätten die Suffragetten in England nicht das Haus des Premierministers angezündet, so gäbe es nach Clumsys Ansicht heute kein Frauenwahlrecht. Gegendemonstranten, die für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes bei der vom Rodungsstopp betroffenen Firma RWE Power eintraten, berücksichtigt die Regisseurin nur am Rande. Ökologische und ökonomische Hintergründe der Kohleverstromung deutet sie ebenso beiläufig an wie die Begründung für den Rodungsstopp. Die hässlichen Seiten der Baumhausräumungen werden geschönt dargestellt. Über den Unfall jenes 27-jährigen Journalisten, der 2018 von einer Hängebrücke in den Tod stürzte, erfährt man wenig.
Mehr oder weniger ungebrochen transportiert der Film das Selbstverständnis der Rodungsgegner und deren gefühlte Wahrheit. Seine knapp zweistündige Länge ist daher nur teilweise gerechtfertigt.
Kommentare
Hambi bleibt! Alle Dörfer bleiben!
RWE = Umweltzerstörer, RWE = Heimatzerstörer
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