Interview mit Dominik Graf über den Director's Cut von »Die Sieger«
»Die Sieger« (1994). © Bavaria Film
Herr Graf, inwiefern unterscheidet sich der Film, den wir bei der Berlinale zu sehen bekommen von dem Film, der 1994 in die Kinos kam?
Es sind zwei mehrere Minuten-lange neue Szenen und etliche kleine Szenen, sowie ein paar Schnitte in den Film wieder integriert, insgesamt sind in etwa 15 Minuten neu. Ich hab die Hoffnung, dass der Film jetzt an entscheidenden Weichen vielleicht noch einen intensiveren Eindruck macht, dass der Kampf der Hauptfigur, Herbert Knaup, mit seinem Bild von sich selbst, mit seinem Beruf, seiner eigenen Haltung zu den internen polizeilichen Vorgängen, die er langsam aufdeckt, und aber auch sein Kampf mit seinem Gegenspieler, dem Ex-Kollegen Hannes Jännicke, der auch ein dunkles alter ego ist – dass diese Auseinandersetzungen stärker herauskommen.
Wie kam es jetzt zu dieser neuen 4k-Fassung: zum 25. Jahrestag oder einfach, weil die Bavaria den Film auf einem neuen Speichermedium vermarkten möchte?
Markus Zimmer, der Chef der Spielfilmabteilung der Bavaria, hat zum 100. Geburtstag der Firma die Restauration der »Sieger« vorgeschlagen. Es gab über die Jahre hinweg immer wieder Versuche von ambitionierten DVD-Labels den Film neu herauszubringen. Alle wurden abgeschmettert. Jetzt hat die Firma durch Zimmers Initiative selbst die Restaurierung übernommen.
Im Gespräch von 2012 sprechen Sie von der »schrecklichen Endfassung, wo auch der Tonmix eine Katastrophe ist«. Wurde der jetzt neu gemacht? Konnten Sie dabei auf den (problematischen) Originalton zurückgreifen? Welche Probleme gab es mit dem Material?
Die originale Tonmix hat sich letztlich als sehr gut herausgestellt. Starke Kontraste zwischen Laut und Leise, enorme Dynamik, teilweise damals wirklich mutig von Michael Kranz gemischt. Aber die Abspielmöglichkeiten der 90er waren schwierig, die Dolbykanäle wurden in den Kinos oft falsch entcodiert. In der DVD-Fassung der Firma Eurovideo war die Geräuschspur lauter als der Dialog. Es hagelte Beschwerden der Käufer, auf meine Nachfrage wurde mir geantwortet, ja, da sei wohl was bei der Überspielung schiefgelaufen, aber nun könne man nichts mehr machen. Die Mix ist jetzt optimal, die neuen Szenen sind im Originalton von einer VHS-Vormischung, sie wurden so weit wie möglich der Mischung angepasst.
Vor zwanzig Jahren haben Sie in einem Interview bedauert, dass Sie Ihre ursprüngliche Schnittfassung von drei Stunden damals auf die vertraglich vorgeschriebenen 135 Minuten herunterkürzen mussten. Gab es die Überlegung, für die jetzige Veröffentlichung diese ursprüngliche Fassung zu nehmen? Oder aber ist das davon noch vorhandene Material dafür gar nicht geeignet?
Eine vorzeigbare Schnittfassung von drei Stunden gab es nie. Diese Längenangabe hatte mit minutenlangen Aktwechseln auf der VHS des Rohschnitts zu tun. Das Problem bei der Rekonstruktion war nun, dass spätestens bei der Auflösung des Bavaria Kopierwerks und den dazugehörigen Archiven alles weggeworfen wurde, und dass somit die neuen Szenen von eben jener alten Rohschnitt-VHS, die ich allein noch hatte, entnommen werden mussten. So ragen sie nun optisch aus der 4K-Herrlichkeit der digitalisierten Kopie deutlich heraus. Aber ich mag solche Material-Sprünge bei Director's Cuts, das ist ja Archäologie. Und die VHS-Transfers in ihrem unsauberen Look haben letzten Endes auch ein bisschen etwas mit dem Film und mit seiner Geschichte zu tun.
Von dieser Wegwerfaktion haben Sie erst im Zuge der Neufassung erfahren?
Ich hatte gemeinsam mit der Cutterin Christel Suckow in den 2000ern schon mal nachgefragt, was mit den alten Schnittfassungen los ist, ob die Reste noch im Archiv vorhanden sind, um einen kompletten Umschnitt zu ermöglichen? Wo waren die Negative? Diffuse Antworten. Zu dem Zeitpunkt war offenbar schon alles und zwar inklusive Negative weggeworfen. Und es gab lange Zeit kein Interesse, den Film noch mal anzufassen.
»Eine schmerzende Wunde« haben Sie den Film im Gespräch 2012 genannt, weniger wegen des ausgebliebenen Publikums als wegen der Kompromisse, auf die Sie Sich eingelassen hatten. Sie haben in dem Zusammenhang aber auch gesagt, dass Sie Sich den Film alle zweieinhalb Jahre wieder anschauen. Ist der Film mit dieser neuen Fassung für Sie nun ein abgeschlossenes Kapitel?
Im Prinzip ist das Vorliegende nun als die Endfassung zu sehen, ja. Mehr gab es beim Drehen 1993 nicht. Günter Schütter hatte ursprünglich ein längeres Drehbuch geschrieben, ein Jahr vor den Dreharbeiten, das bis auf den jetzigen Schluss – der war anders – noch epischer, inhaltlich gewaltiger war und mit mehr verblüffenden Details aufwartete. »Szenen aus dem SEK-Leben« zu erzählen lag aber nicht in der Absicht des Produzenten Günter Rohrbach, und nachdem sich auch Bernd Eichingers Verleihinteresse verflüchtigt hatte, weil es sich hier – Zitat – ja mehr um »Verlierer als Sieger« handele, wurden die Drehbuchfassungen, auch wegen finanziellen Defiziten, allmählich immer weiter eingedampft. Das finale Skript war dann zweifellos ein Kompromiss. Aber alte Filme verändern sich auch im Lauf der Jahre, sie bleiben immer wie in einem flüsternden Dialog mit der laufenden Jetzt-Zeit, sie verlieren oder gewinnen mal an Attraktivität, weil sie dem filmischen Zeitgeschehen einen Spiegel vorhalten. In diesem Fall auch dem politischen Geschehen. Einen Korruptions- und Entführungs-Fall wie den hier beschriebenen, der mit Hilfe von kriminellen Elitepolizisten in Zusammenarbeit mit gierigen Politikern abläuft – das wollte sich 1993 in der Jubel-BRD niemand vorstellen. Obwohl wirtschaftlicher Betrug und politische Champagnerparties auf Kosten der gewendeten Menschen im Osten ja ungeheure Ausmaße annahmen. Das könnte heute anders sein, wir trauen, glaube ich, den Volks-Vertretern heute fast alle Betrügereien zu ihrem eigenen Vorteil zu.
In einem Beitrag über »Die Sieger« in einem 2012 veröffentlichten Sammelband über Sie heißt es, dass Sie damals »die Bereitschaft des Publikums für bestimmte Verletzungen der Genreregeln überschätzt haben mögen«. Ist dem Publikum in dieser Hinsicht heute mehr zuzumuten? Im Kino? Im Fernsehen?
Michael Althen hat damals in der SZ geschrieben, »ein Actionfilm, der von so etwas Flüchtigem wie Gefühlen handelt – ein Männerfilm, der am liebsten von Frauen erzählt – ein »amerikanischer« Film, der so nur in Deutschland möglich ist....« Das beschreibt ganz gut unsere Absicht und die Fliehkräfte, die nach Günter Schütters und meinem Gefühl von Anfang her an dem herkömmlichen Bild vom Männer-Actionfilm zerren sollten.
Im Unverständnis und im Desinteresse des Publikums kam glaube ich auch hinzu, dass der Film ästhetisch aus zwei Welten besteht – das sind die »da unten«, die Beamten und ihre Besoldungsgruppen, zwischen Kleinbürgertum, Familien, Kindergeburtstagen und paramilitärischem Eliten-Gefühl zerrissen, und die »da oben«, Chefetagen, Entscheidungsträger mit Personenschutz, vermeintlich »große Welt«. Das verwirrte, glaube ich. Eine Voraussage, wie diese Konstellationen im Film heute gesehen werden, will ich nicht machen. Vielleicht kriegt der Film ja auch wieder eins um die Ohren? Wäre aber letztlich egal. Jetzt ist er zumindest mal gerettet.
Heute würde man eine so komplexe Geschichte vermutlich eher als Serie machen. Stimmen Sie ihrem Kollegen Philipp Stennert zu, der anlässlich der Serie »Der Pass« (die er zusammen mit Cyrill Boss realisiert hat) in einem Interview sagte: »Interessanterweise ist die Genrevielfalt im Zuge dieser Marktöffnung auch wesentlich breiter geworden. Die deutschen Zuschauer akzeptieren andere Genres in diesen neuen Serien anscheinend viel mehr als in Kinofilmen. »Dark« hätte als Kinofilm wahrscheinlich nicht funktioniert. Die Hemmschwelle, für einen Mysterythriller aus Deutschland ein Kinoticket zu lösen, ist leider immer noch hoch. Bei Serien ist die Bereitschaft offenbar anders.« Sehen Sie im heutigen Kino Platz für (Polit-)Thriller und Polizeifilme?
Ja, das ist ein gutes Zitat. Sehr richtig. Die Kinozuschauer sind aber auch teils ganz andere Zuschauer als diejenigen, die die Serien schauen. Daher vermute ich auch im deutschen Kino nach wie vor kaum einen Platz für Genres. Es gibt jetzt einzelne Feigenblätter-Filme, das ja. Aber das Thriller-Genrekino an sich ist ja ekstatisch, böse, gewalttätig, sexy, dreckig – sonst ist es keins. Und solche Filme sind aus Deutschland im Augenblick wohl nicht zu erwarten. Es steht darüber hinaus auch zu befürchten, dass der Serienhype langsam abebbt. Die Streamingdienste stellen sich wie man hört bereits darauf ein.
Wo, wann und auf welchem Medium wird man den Film nach der Berlinale sehen können?
Es wird eine DVD-Ausgabe geben. Ich hoffe, ich kann daran mitarbeiten.
Einzige Berlinale-Vorführung des digitalisierten Director's Cut von »Die Sieger« am Montag, 11.2., 21.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
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